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So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)

So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)

Titel: So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)
Autoren: Mohsin Hamid
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    ZIEH IN DIE STADT
    Seien wir ehrlich, ein Selbsthilfebuch ist ein Widerspruch in sich, es sei denn, man schreibt selbst eines. Es ist doch so: Du liest ein Selbsthilfebuch, damit jemand, der nicht du ist, dir helfen kann, und dieser Jemand ist der Autor. Das gilt für das gesamte Selbsthilfegenre. Zum Beispiel für Ratgeberbücher. Und für Selbstverbesserungsbücher. Manche könnten sagen, es gilt auch für religiöse Bücher. Andere wiederum könnten sagen, dass man diejenigen, die das sagen, zu Boden drücken, ihnen mit einer Klinge langsam die Kehle aufschlitzen und sie ausbluten lassen sollte. Es ist daher wohl das Klügste, bei dieser Unterkategorie divergierende Ansichten einfach festzuhalten und schnell weiterzumachen.
    Nichts vom bisher Gesagten bedeutet, dass Selbsthilfebücher nutzlos sind. Im Gegenteil, sie können wirklich nützlich sein. Allerdings bedeutet es, dass die Vorstellung vom Selbst im Land der Selbsthilfe glitschig ist. Und glitschig kann gut sein. Glitschig kann angenehm sein. Glitschig kann Zugang zu etwas gewähren, was scheuern würde, ginge man trocken hinein.
    Dieses Buch ist ein Selbsthilfebuch. Sein Zweck ist, wie im Titel angegeben, dir zu zeigen, wie man stinkreich werden kann im boomenden Asien. Und dafür muss es dich finden, dort, wo du eines kalten, tauigen Morgens fröstelnd unter der Pritsche deiner Mutter auf der gestampften Erde kauerst. Dein Unglück ist das eines Jungen, dem man seine Schokolade weggeworfen hat, dessen Fernbedienungen die Batterien fehlen, dessen Roller kaputt ist, dessen neue Turnschuhe gestohlen worden sind. Das ist umso bemerkenswerter, als du in deinem bisherigen Leben noch nichts davon gesehen hast.
    Das Weiß deiner Augen ist gelb, die Folge eines erhöhten Bilirubinspiegels in deinem Blut. Das Virus, das dich befallen hat, heißt Hepatitis E. Sein typischer Übertragungsweg ist fäkal-oral. Lecker. Es tötet nur ungefähr jeden fünfzigsten, daher wirst du wahrscheinlich wieder gesund. Aber im Moment ist dir, als müsstest du sterben.
    Deine Mutter hat solche Zustände schon oft erlebt, jedenfalls ähnliche. Daher glaubt sie vielleicht nicht, dass du sterben wirst. Vielleicht glaubt sie es aber doch. Vielleicht befürchtet sie es. Irgendwann stirbt jeder, und wenn eine Mutter wie deine in einem drittgeborenen Kind wie dir den Schmerz sieht, der dich unter ihrer Pritsche wimmern lässt, dann spürt sie vielleicht, dass dein Tod sich um ein paar Jahrzehnte vorschiebt, sein dunkles, staubiges Kopftuch abnimmt und sich mit offenhaariger Vertrautheit und einem lasziven Lächeln in diesem einen Raum mit seinen Lehmwänden einrichtet, den sie mit ihrem gesamten verbliebenen Nachwuchs teilt.
    Sie sagt nur: »Verlass uns nicht.«
    Dein Vater hat diese Bitte schon früher von ihr gehört. Aber das macht ihn noch nicht vollständig unempfänglich dafür. Er ist ein Mann von einem gewaltigen sexuellen Appetit, und häufig denkt er, wenn er weg ist, an die schweren Brüste und die festen, ausladenden Hüften deiner Mutter, und noch immer drängt es ihn, sich Nacht für Nacht statt nur bei drei, vier Besuchen jährlich in sie hineinzustoßen. Auch gefallen ihm ihr ungewöhnlich derber Humor und manchmal auch ihre Gesellschaft. Und obwohl er ihren Jungen nicht eben häufig Zuneigung erweist, sähe er es doch gern, dass du und deine Geschwister groß werden. Sein Vater hatte beträchtliche Freude am täglichen Wachstum der Früchte auf dem Feld, und darin ähneln sich die beiden Männer, wenigstens insofern, als es analog zur Entwicklung von Kindern ist.
    Er sagt: »Ich kann es mir nicht leisten, euch in die Stadt zu holen.«
    »Wir könnten bei dir in deiner Unterkunft wohnen.«
    »Ich teile mein Zimmer mit dem Fahrer. Er ist ein masturbierender, kettenrauchender, blähender Schwesterficker. In der Unterkunft gibt es keine Familien.«
    »Du verdienst jetzt zehntausend. Du bist kein armer Mann.«
    »In der Stadt ist man mit zehntausend ein armer Mann.«
    Er steht auf und geht hinaus. Dein Blick folgt ihm, seine Ledersandalen sind hinten offen, die Riemen schlackern herum, seine spröden Fersen voller Schwielen, hart, gleich Krustentieren. Er tritt durch die Tür auf den offenen Hof, der das Zentrum des Compounds deiner Großfamilie bildet. Unwahrscheinlich, dass er dort in Betrachtung des einen schattenspendenden Baums verharrt, der im Sommer labend, aber jetzt, im Frühjahr, noch hart und kümmerlich ist. Möglich, dass er den Compound verlässt und sich zu
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