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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)
Autoren: Dagmar Trodler
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Wohnung an der Hauptverkehrsstraße und vom nebelig kalten Deutschlandwetter, weg von Axels nervenden Anrufen, von seiner aufdringlichen Verehrerschaft. Dabei war klar, was er wollte, und seine Höflichkeit ging ihr auf den Geist – sie hatte noch an Thomas’ Untreue zu knabbern und erst mal keinen Bock auf eine neue Beziehung. Weg von Packbier. Von den Akten, mit denen sie nicht weiterkam, wo sie Anträge nicht verstand und nicht zu fragen wagte, und von dem Riesenstapel, bei dem es ihr so leid tat, die errechneten Forderungen auszudrucken, weil sie wusste, was Briefe vom Finanzamt für so manche Familien bedeuteten, und den sie daher Tag für Tag von rechts nach links schob und ihn vor Packbier versteckte.
    Und immer wieder Packbier, dessen Aktenprüfung wie ein Mühlstein auf ihrem Herzen lastete und zunehmend Düsternis verbreitete …
    War weglaufen eine Lösung dringlicher Probleme?
     
    Es war durchaus eine Lösung, hatte sie eines Abends entschieden.
    Keine elegante, aber eine Lösung, mit der sich erst mal wieder schlafen ließ, ohne schweißgebadet wachzuwerden, mit Herzrasen und Angstattacken und Appetitlosigkeit, selbst wenn Silke Lammfilets mit Rosmarin für sie beide gebraten hatte.
    Und so hatte sie eine Woche später unbezahlten Urlaub eingereicht, Arbeitsbefreiung für 12 Monate beantragt und spät in der Nacht geradezu beschwingt auf die Return-Taste ihres PCs gedrückt und die Online-Buchung für einen Hinflug am fünften April nach Island bestätigt. Jemand aus Silkes weitläufigem isländischen Bekanntenkreis hatte ihr dort eine Arbeitsstelle beschafft und würde ihr langweiliges, überschaubares Leben damit für eine Zeit unterbrechen.
    Nach dem Tastendruck saß sie noch eine Weile still auf dem Kissen.
    Nun hatte sie den Sprung gewagt. Los. Obwohl sie noch nie in Island gewesen war, keinen Isländer kannte, die Sprache noch viel weniger, und auch über das Land nicht viel mehr wusste, als dass es dort große Kälte und gefährliche Vulkane gab, und Schafe und diese merkwürdigen Ponys, von denen Silke gleich drei besaß, weil sich eins allein ja langweilte. Alkohol war teuer, Gemüse wuchs dort nicht, und die Einwohner waren schweigsam. Nun, Letzteres musste nichts Schlechtes bedeuten.
    Vielleicht waren es die Vulkane, die ihre Entscheidung beeinflussten. Was war ein Vulkan gegen einen mit Akten bewaffneten Packbier? Beide machten Lärm und Ärger, beide störten den Alltag, beide hatten Einfluss auf ihr Wohlbefinden. Der Vulkan brach nur alle Jubeljahre mal aus, Packbier hingegen beinahe täglich. Ziemlich schräger Vergleich...
    Die kleine Wohnung war schnell vermietet, Möbel und Krempel besaß sie eh nicht viel, Silke half ihr, die Sachen auf dem Hof ihrer Eltern unterzubringen. Die letzte Woche wohnte sie bei Silke, und so langsam, ganz langsam, stellte sich so was wie Nervosität ein. All die Wochen war es nichts als ein Plan gewesen. Jetzt gab es nur noch ihre Koffer, das Flugticket und Silke, die ihr so viel wie möglich über die kalte Insel zu erzählen versuchte. Manchmal hörte Lies hin, meistens jedoch hing sie ihren Gedanken nach...
    Zwei Tage vor dem Abflug war dann der Anruf gekommen, die Familie in Island habe die bestellte Haushaltshilfe leider abgesagt, sie müsse sich aber keine Sorgen machen und könne ruhig den Flieger besteigen, man habe bereits einen anderen Arbeitgeber für sie gefunden. Lies hatte kurz vorm Durchdrehen gestanden – so kurz vor dem Ziel sollte alles über den Haufen geworfen werden?!
    »Mach dich nicht verrückt«, hatte Silke versucht, sie zu trösten, während sie am Flughafen einen Parkplatz suchte. »Wird bestimmt lustig. Wer weiß, wen du kennenlernst.« Schwungvoll hatte sie ihr Auto an der Parkbucht zum Stehen gebracht. »Guck mal – das hier stand heute Morgen in der Zeitung. Ich hab’s dir ausgeschnitten.« Und sie hatte ihr lächelnd einen kleinen Zeitungsausschnitt gereicht.
    Im Flugzeug hatte Lies ihn ausgepackt.
     
    »Es ist drei Uhr in der Frühe. Ein letztes Mal steigen wir, die Arme voll duftendem Heu, über den Mittelgang, wo sich die Schafe nach dem Futter recken. Die Stimmen der Mutterschafe mischen sich mit dem Quäken der Lämmer – Hunger, schneller! Kurz darauf wohliges Schmausen, hier und da ein leises ›Bäh‹, Ruhe im Stall. Ich nehme eins der Wollknäuel auf den Arm. Es riecht wie ein Baby, süßlich nach Milch, und die feine Flaumwolle streichelt sanft meine Wange. Durch die offene Tür zieht kühle Luft in den
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