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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)
Autoren: Dagmar Trodler
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fühlte sich jedoch gleichzeitig besser, einfach, weil jemand zu ihr sprach. Und dieser Jemand war nett und jung und sah gut aus. Stumm nickte sie und zog die Hände aus dem Spülwasser. Er sah sogar unverschämt gut aus, und sie war die Putzfrau. Super. Klar muss mir so was passieren, dachte sie noch, da trat er einen Schritt näher, mit schräg gelegtem Kopf, um nicht am Türsturz anzusto ßen, denn der war für kleinere Menschen als ihn gebaut.
    »Und wo ist er, der Alte?«
    Lies zuckte mit den Schultern. »Ich habe ihn seit heute Morgen nicht mehr gesehen.« Auch als die Hände schon trocken waren, trocknete sie sie weiter ab, und das Handtuch litt.
    Der Mann nickte nachdenklich. Dann klappte er seine langen Beine zusammen und schob sich hinter den wackeligen Esstisch. »Ich nehm mir’nen Kaffee. Willst du auch?«
    Lies blinzelte. Der schien sich hier ja wie zu Hause zu fühlen... oder war das vielleicht so in Island? Stolperte man einfach in ein Haus und machte es sich bequem? Ohne abzuwarten, goss er auch ihren Becher voll, und sie bekam Gelegenheit, das malträtierte Küchenhandtuch beiseitezulegen. Der Stuhl, auf den sie sich setzte, knarzte. Schweigend tranken sie und hörten der tickenden Wanduhr zu. Dann hielt er ihr eine große, aber erstaunlich feingliedrige Hand hin.
    »Jóhann Magnússon. Nenn mich Jói, wenn du magst.«
    Sie stutzte, dann gab sie ihm ihre vom Spülen verschrumpelte Hand. »Lies heiß ich. Lies Odenthal.«
    »Lies«, wiederholte er.
    »Lies«, bestätigte sie.
    »Lies Odenthal. Hast du einen Gott in deinem Namen versteckt?«
    »Was? Was meinst du?«
    »Odenthal. ›Oden‹ ist Odin, ein alter Wikingergott. Hat er dich nach Island gebracht?« Er lächelte sie offen an. Lies verstand überhaupt nicht, wovon er sprach, und nickte nur hilflos. Jói rührte drei Löffel Zucker in den Kaffee und trank.
    Das Gespräch versickerte.
    Als hätte er sich an den dort gelagerten Schrauben verschluckt, gurgelte der Kühlschrank laut auf, bevor er begann, wieder zu lärmen. Lies erinnerte sich, dass das Kühlfach voller Eis hing und man das Gerät sicher wöchentlich abtauen musste. Sie hasste es, Kühlschränke abzutauen. Sie hasste Speisereste. Sie hasste spülen, wenn kein Ende abzusehen war. Dennoch – ihr Besuch schwieg, und der Abwasch tat sich nicht von allein, weswegen sie aufstand und ihre Hände wieder ins heiße Wasser eintauchte, um mit Abscheu die letzten fettigen Töpfe zu schrubben. Jói schlürfte schweigend seinen Kaffee. Sie spürte, dass er sie beobachtete und seine Blicke über ihre Figur wanderten. Im Geiste verdrehte sie die Augen. Konnte man als Frau nicht mal in Ruhe gelassen werden? Sie hasste glotzende Kerle, und an ihr gab es auch nichts zu glotzen. Keine Figur, kein Busen, kein Hintern. Aschbraune, schulterlange Egalhaare, in die sich erste Silberfäden mischten. Mit 30 graue Haare – toll. Lies wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht. Sie kamen alle von Packbier, jede einzelne Strähne. Vielleicht noch von Thomas, aber auf den meisten Strähnen stand breit und dick ›Finanzamt‹. Trotzdem klopfte ihr Herz wegen der Blicke hinter ihr.
    Der letzte Topf thronte zum Abtropfen auf dem Abwasch, und während sie die Hände wieder abtrocknete, drehte sie sich zu dem glotzenden Kerl um. Der saß jetzt rittlings auf einem der klapprigen Küchenstühle und sah aus dem Fenster, wahrscheinlich schon die ganze Zeit, weil es an ihr wirklich nichts zu glotzen gab. Lies wusste nicht recht, wie sie das finden sollte. Ihr Herz hörte deswegen jedoch nicht auf zu klopfen, und sie war heilfroh, als er den Mund aufmachte, um etwas zu sagen.
    »Soll ich dir den Hof zeigen?«, fragte er und stand auf. »Wir finden Elías sicher im Stall. Da kann er dir gleich deine Arbeit zeigen.«
    »Hm«, machte Lies.
    Jói sah sie prüfend an. »Elías redet nicht viel.«
    Stumm schüttelte sie den Kopf. Nicht viel? An genau zwei Worte konnte sie sich erinnern seit gestern Abend. Im Übrigen war ›nicht viel‹ relativ, dieser Jói taugte ja auch nicht gerade zum Alleinunterhalter.
    »Weißt du was? Ich bring ihn für dich zum Reden.« Grinsend zog er ein Döschen aus der Westentasche. »Hiermit schaffen wir das. Komm.«
     
    »Hat Elías keine Familie?«, fragte Lies vorsichtig, als sie über die graue Wiese zum Stall herüberwanderten.
    Jói schüttelte den Kopf. »Nicht seit ich ihn kenne. Und das tue ich schon seit ein paar Jahren.« Er kratzte sich am Ohr und stapfte mit großen Schritten
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