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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)
Autoren: Dagmar Trodler
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mehrmals am Tag Heu – das findest du dort hinten, die Ballen am Tor, und Wasser müssen sie stets zur Verfügung haben. Einfach immer gucken, wenn kein Heu mehr da ist, neues hinlegen. Der Wasserhahn ist mit Schafwolle umwickelt, damit er nicht einfriert, die Eimer stehen dort neben der Tür. Die Mutterschafe müssen immer Wasser und Futter haben, sonst geben sie nicht genug Milch, und die Lämmer bleiben schwach. Die Böcke dort drüben…«, er deutete auf einen abgetrennten Teil des Stalles, wo mehr Bewegung herrschte und wo vielleicht zehn Schafe auf einem Haufen umherwuselten, »die Böcke bekommen nur dreimal am Tag. Draußen hab ich auch noch welche entdeckt, denen kannst du am Zaun Heu hinlegen. Im Herbst werden die Böcke kastriert, und manche von ihnen kommen, wenn sie groß genug sind, zum Schlachter.«
    »Aha.« Lies verzog das Gesicht. Das hier war ja härtestes Bauernleben. Sie fand es furchtbar.
    Da legte er seine Hand auf ihren Arm. »Einfach ein bisschen nach dem Rechten sehen, ob’s allen gut geht. Du wirst sehen, man arbeitet sich schnell ein. Geh einfach herum, schau dir alles an, nimm alles in die Hand und probier’s aus. Island ist ganz viel Ausprobieren.« Seine Braue zuckte. »Wirklich. Ach ja, und wenn’s zu sehr stinkt, den Mist rausräumen. Hinten durch das Tor, da findest du den Misthaufen und die Schubkarre. Ist doch ganz leicht, oder?« Jói lächelte. »Und im Haushalt kennst du dich sicher besser aus als ich.«
    »Hmhm«, kommentierte Lies seine Kurzeinführung. Die Hand auf ihrem Arm verursachte Kribbeln auf der Haut. Als merke sie das, verschwand sie.
    »Fang an«, grinste Jói. »Ich lenk ihn ab.« Damit zog er die kleine Dose aus der Jackentasche, entnahm ihr ein stark riechendes, tabakartiges Zeug, tauchte es mal kurz in den Wassereimer, um es durchzuwalken, und schob es sich dann unter die Oberlippe, bis er aussah wie ein Boxer nach dem Kampf. »Tabak«, sagte er undeutlich auf ihren ungläubigen Blick hin. »Feiner guter Tabak.« Ein letztes Mal auf die dicke Oberlippe gedrückt, stapfte er mit einem Zwinkern an Lies vorbei auf den Alten zu. Sie hörte Murmeln, den Deckel der Dose, und stellte sich vor, wie Elías Böðvarsson sich die Oberlippe bis zum Ohr mit Tabak vollstopfte und vom Drogenrausch vielleicht tatsächlich mal lachte.
     
    Und Lies fing an.
    Sie rupfte von einem riesigen Heuballen das Heu herunter, lud sich die Arme voll und stolperte durch den Stall, dessen Eigenheiten ihr noch nicht vertraut waren und dessen geheime Stolperfallen sie nicht kannte, ebensowenig wie die gierigeren Exemplare unter den Mutterschafen, die ihr auf den Futtergängen die Hörner gegen die Beine stießen, weil sie nicht schnell genug war und auch die Mengen nicht richtig abschätzte.
    Jói und Elías scherzten sparsam herum, irgendwann standen sie auf, immer noch mit dicken Oberlippen, und begannen ebenfalls Futter herumzutragen, und Lies konnte sich abschauen, wie groß die Mengen für die einzelnen Tiere waren. Ob Jói das mit Absicht tat oder ob man das in Island so machte – beim Nachbarn einfach mal mitanpacken, wenn man schon grad da war, das wusste sie nicht, war aber froh über diese kleine Unterstützung. Und irgendwie musste sie nicht nur auf das Heu gucken, sondern auch immer wieder dem schwarzen Schopf hinterherschauen. Weil er so gut aussah, und weil seine Anwesenheit guttat.
    Doch leider dauerte die Hilfe nicht lange an, denn unvermutet stolperte Elías zum Stall hinaus, Lies hörte was von » kaffipása «, und weg waren die beiden, und die Stalltür schlug unfreundlich hinter ihnen zu. Der Spitz, der auf einem Haufen alter Wolle in der Ecke hockte, knurrte sie an, als wolle er ihr bedeuten, den Männern ja nicht zu folgen. Männerkaffee war Männerkaffee. Schließlich war es schon Mittag, und die Arbeit noch lange nicht getan. Und sie, Lies, war zum Arbeiten hier. Der Spitz hechelte.
    »Is’ ja schon gut«, murmelte Lies.
    Sie richtete sich auf und sah sich um. Ohne Elías sah der Stall weitaus weniger bedrohlich aus. Das Licht der Petroleumlampe schien warm und gnädig auf die zusammengehämmerten Verschläge, und auch der Geruch, der ihr eben noch so feindselig erschienen war, normalisierte sich wieder. Es gab zwei Futtergänge oberhalb der Verschläge, über die man alle Schafe erreichte. Heu türmte sich auf diesen Gängen, und gehörnte Schafsköpfe wackelten über den Halmen, die zufrieden malmten und ab und an einen Schluck Wasser aus den zerschnittenen
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