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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)
Autoren: Dagmar Trodler
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Plastikkanistern soffen, die neben den Verschlägen als Trinknäpfe standen. Sie bewunderte die kunstvoll gedrehten Hörner der Tiere, die es nicht zu stören schien, wenn man sie anfasste. Zumindest beim Fressen nicht. Die Wolle fühlte sich unglaublich fettig an, und so ein Schafskopf hat nichts Weiches mehr, wenn man die Finger aufs Fell legt. Hart wie Holz war so ein Kopf, fremd für die Hand, und das Schaf schien gar nicht zu merken, dass es dort angepackt wurde. Lies verstand nun, woher der Begriff ›Schafskopf‹ kam.
    Nein, der Stall war geradezu friedlich. Sie erinnerte sich an diesen Zeitungsausschnitt, den Silke ihr gegeben hatte. So ähnlich war das hier. Nur die nette Isländerin fehlte. Aber sonst... Weiches Licht, Windstille. Hier und da meckerte mit heller Stimme ein Lamm. Es raschelte, wo Nasen im Heu stöberten, es hüpfte und polterte über Planken, oder ein Mutterschaf blubberte. Sonst hörte sie nichts. Erholsam.
    Dann ein heftiger Schlag.
    Lies fuhr zusammen.
    Er zerriss den Frieden, störte die Idylle, störte Lies, die sich für einen Moment auf der Brüstung ausruhte, weil sie solch körperliche Arbeit überhaupt nicht gewohnt war, und dann auch noch ohne Frühstück und Mittagessen!
    Wieder ein Schlag, ein Tritt, Holz splitterte. Ihr Herz schlug heftig.
    Lies schlich in die Richtung, von wo aus der Lärm kam. Ans Ende des Stalles war ein weiterer Verschlag gebaut, nur nicht in den Boden hinein wie die Schafsboxen, sondern höher, als sie gucken konnte, und als sie zwischen die Bretter lugte, blickte sie in zwei empörte, riesengroße schwarze Augen. Gleich darauf krachte es erneut, direkt vor ihr.
    Lies fuhr zurück. Ein Pferd. Hinter der Holzwand stand ein Pferd.
    Sie mochte keine Pferde.
    Silke hatte welche. Silke roch, wenn sie vom Reiten kam, gab ihr ganzes Geld für diese Viecher aus und hatte nie Zeit. Manchmal fiel sie beim Reiten runter, manchmal fluchte sie über Tierarztkosten und darüber, was eins der Viecher wieder verbrochen hatte. Vor allem aber roch sie nach ihnen, egal, welches Kleidungsstück sie aus dem Schrank zerrte.
    Hier in diesem Verschlag roch es anders – es stank nach Urin und Mist.
    Die Augen hinter den Brettern blitzten ärgerlich. Ein kurzes heftiges Schnauben, dann trat das Pferd erneut mit dem Vorderhuf gegen die Holzwand. Lies fuhr zurück. Ein Teufel auf vier Beinen! Auf so was hatte sie ja gar keine Lust, überhaupt nicht.
    »Heißt du Packbier, oder was?«, knurrte sie und trat den Rückzug an, bei den Schafen war es friedlicher. Sie drehte den Wasserhahn auf, den sie zwischen Wollresten gefunden hatte, und ließ Wasser in die Eimer laufen, um die Näpfe der Schafe aufzufüllen. Hinter der Boxenwand quiekte es böse, gleich darauf bollerte es wieder gegen die Wand. Der Mist quatschte unter den Hufen, als das Pferd hin und her stapfte und wütend schnaubte.
    Lies hörte sich das Gepoltere von den Wassereimern aus eine Weile an. Als es immer heftiger wurde, begann sie jedoch, um die Boxenwand zu fürchten. Was, wenn das Pferd sie zertrümmerte? Kopflos hier im Stall umherrannte – oder sie am Ende gar angriff? Bestimmt konnte es eine Wand eintreten. Wer konnte schon ahnen, wozu so ein eingesperrtes Pferd noch alles fähig war... Sie fasste sich ein Herz und näherte sich noch einmal der Box. Das Pferd hielt inne, schnaubend und mit blitzenden Augen.
    Die Tür war in der Mitte zweigeteilt. Mit zitternden Fingern öffnete Lies den Riegel vom oberen Teil, um in die Box hineinzuschauen. Sie hatte keine Ahnung von Tieren, aber vielleicht stimmte ja etwas nicht, dass es sich so gebärdete.
    »Halt dich bloß zurück, Packbier – komm mir nicht zu nahe, hörst du, bleib wo du bist...« Als das Fenster aufschwang, wich das Pferd zurück, heftig schnaufend. Lies ließ den Blick durch die Box wandern. Sie sah Matsch und Mist, aber kein Futter.
    »Okay... Hast du Hunger, Packbier, ist es das?«, fragte sie leise und betrachtete das Tier genauer. Weiß war es, schneeweiß mit überschäumender, dichter, langer Mähne, in der sich Schmutzklumpen gefangen hatten. Die dunkelgrauen Nüstern weiteten sich bei jedem Atemzug, Empörung stand in der Luft.
    »Du hast Hunger«, stellte Lies nüchtern fest. Wie zur Bestätigung schaukelte das Pferd nickend mit dem Kopf. Ein Vorderhuf scharrte über den Boden. Hunger. Und so pflückte sie einen Arm voll Heu vom Ballen. Als sie wieder an der Tür stand, machte das Pferd einen Schritt auf sie zu. Nur einen, dann blieb es wie
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