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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)
Autoren: Dagmar Trodler
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in letzter Zeit alles so unerfreulich gewesen, vom ersten Tag des neuen Jahres an. Blöder Ärger mit den Eltern – weswegen eigentlich? Dann die Mieterhöhung. Kurz darauf ein Wasserrohrbruch, tagelang Gestank in der Bude, der neue Teppichboden fraß die Ersparnisse auf, die Versicherung stellte sich taub. Dann musste die Katze eingeschläfert werden. Und Thomas verkündete, dass er sich anderweitig verliebt hatte und packte seine Sachen. ›Anderweitig‹ war ausgerechnet ihre Freundin Sandra gewesen, und bei ihr war er dann auch gleich eingezogen. Leider sah man sich allwöchentlich beim Judotraining, weswegen Lies schon bald keine Lust mehr auf ihren geliebten Sport hatte und lieber zu Hause vor dem Fernsehen dahindämmerte. Und schließlich der ganze verdammte Ärger im Job. Der Job. Ja, das war vielleicht das Schlimmste von allem.
    Sie wusste nur noch, dass sie dringend weggewollt hatte und dass ihr da alles recht gewesen war. Weg von allem, insbesondere aber weg von diesem staubigen, schmierigen Sechziger-Jahre-Schreibtisch im Finanzamt, weg vom allmorgendlichen Magendrücken, wenn sie die schwere Tür des Betonklotzhauses in der Seitenstraße aufstieß und sich sofort wie in einem Tresorraum eingesperrt gefühlt hatte. Weg von den staubigen Akten voller Schicksale, die zu lenken ihr Job war und die sie nach Auffassung ihres Abteilungsleiters viel zu großzügig und unökonomisch behandelte. Weg vom schalen Bürokaffee und altem Zigarettenqualm im überheizten Klo, in dem ganzjährig das Fenster aufstand, Heizöl auf Steuerzahlerkosten vergeudet wurde, weil die Thermostate kaputt waren, und wo man sich im Winter trotzdem den Hintern abfror. Weg von den Strickmusterdiskussionen der Kolleginnen, von billigen Pralinen, die Sodbrennen verursachten, und von irgendwelchen Frauenzeitschriften in Schreibtischschubladen, wenn man Klebeband suchte.
    Weg von dieser Stimme, die sie im Schlaf verfolgte, näselnd, penetrant und mit ewig zu trockenem Mund. »So geht es nicht, Frau Odenthal, so läuft das nicht. Ich werde Ihre gesamten Akten prüfen lassen, und dann können Sie sich auf was gefasst machen.«
    Arnold Packbiers Augen hatten unternehmungslustig geglitzert, während er die zuletzt geprüfte Stichprobe mit Verve auf ihren Schreibtisch pfefferte. Der Abteilungsleiter war bekannt dafür, dass er wie ein einmal geweckter Terrier keine Ruhe mehr gab. Und ihr Büro lag nur zwei Zimmer weiter, da war die Chance groß, ungewollt seine Aufmerksamkeit zu erregen.
    »Wir sind hier nicht die Wohlfahrt, wir sind Steuereintreiber, Frau Odenthal. Wir treiben Steuern ein, bei Leuten, die ordentlich Steuern zahlen sollen und das aber nicht wollen. Wir sind dazu da, dem Betrug des Bürgers auf die Spur zu kommen, und nicht, Wohltaten zu verteilen. Wenn Sie wohltätig sein wollen, Frau Odenthal, dann gehen Sie zur Caritas.« Dann hatte er auf ihrem Schreibtisch nach weiteren Akten gewühlt und sich drei aus dem Haufen in der Ablage genommen. »Ich werde jetzt mal weiterschauen, was Sie hier eigentlich so produzieren.« Damit war er aufrecht und triumphierend wie ein General abgezogen.
    Und Lies hatte sich kurzentschlossen krankgemeldet.
     
    »Island. Was soll ich bitte in Island?«, hatte sie Tage später gefragt, als Silke ihr das Jobangebot auf den Küchentisch gelegt hatte.
    »Naaa -«, und Silkes Blick war geheimnisvoll geworden. »Fahr hin und schau’s dir an. Island ist anders. Wer einmal dort war, will immer wieder hin.« Und sie hatte ihr ein Foto dagelassen. Dieses Foto hatte Lies unzählige Abende vor dem Lichtausknipsen betrachtet, bis Fettflecken den Glanz des Fotopapiers zerstörten und die Ecken Eselsohren bekamen, und sie war mit dem Bild vor Augen eingeschlafen. Ein kleines rotes Haus auf einer Klippe, inmitten einer Wiese voller weißer Wollblumen. Wollblumen gab es hier nicht, sie hatte noch nie welche gesehen. Das blaue Blechdach passte zum sanften Blau des Himmels und erwiderte die Farbe des Meeres unterhalb der Klippe. Eine karge Felseninsel rundete das Ganze im Hintergrund ab.
    Das Bild hatte sie die nächsten Tage verfolgt. Rotes Haus, blaues Dach. Klippe. Rotes Haus.
    »Sag ich doch«, hatte Silke beim nächsten Treffen gesagt. »Alle paar Kilometer steht so ein putziges Haus.« Hatte grinsend ihre Reithose zusammengerollt und sie in den Beutel gesteckt. Lies mochte nämlich den Pferdegeruch nicht in ihrer Wohnung haben.
    »Fahr hin und komm auf andere Gedanken.«
    Andere Gedanken.
    Weg aus der staubigen
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