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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)
Autoren: Dagmar Trodler
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Schafstall. Aufmerksam sitzt der Bordercollie neben der Isländerin. Auf ein Wort hin läuft er los, lautlos und blitzschnell auf die trächtigen Schafe zu, um sie in den Stall zu treiben. Wie ein schwarzer Schatten kreist er um die Herde; kurz darauf drängeln sie im Futtergang aufgeregt um das Heu herum. Derweil schwankt vorne in der Box das neugeborene Lämmchen auf seinen staksigen Beinen. Emsig leckt die Mutter sein lockiges Fell, sein erstes Bähen verzaubert mein Herz. Die Isländerin strahlt mich an. ›Ich liebe das‹, sagt sie leise. ›Verstehst du jetzt?‹
    Wir löschen das Licht und verriegeln den Stall. Die Sonne ist nicht untergegangen, das tut sie im Mai hier in Ostisland nicht mehr. Sie ruht gegen Mitternacht nur kurz aus, dann strahlt sie gleich wieder vom Himmel, und meine Müdigkeit verfliegt, als die frische Morgenluft mein Haar verwirbelt. Langsam gehe ich auf mein Ferienhaus zu. Die kahlen Berge beiderseits der Jökulsá á Brú nicken majestätisch ›Guten Morgen‹, Schwalben flitzen lautlos vor mir her, es duftet nach neuem Gras – dieser Ort ist zu magisch, um ins Bett zu gehen.«
     
    Verzaubert hatte Lies den Papierfetzen sinken lassen und aus dem Fenster geschaut, wo die Wolken wie ein dickes Flaumkissen lagen und sie im Notfall auffangen würden. Nett klang das.
    Was sie allerdings seither erlebt hatte, war nicht nett gewesen, und ihr Arbeitgeber war keine freundliche, strahlende Isländerin, sondern ein bärtiger, alter Sack.
    Elías Böðvarsson auf Gunnarsstaðir.
     
    Elías war nicht mehr zu sehen, verschluckt vom Dunkel der muffigen Diele. Es roch nach Stall, Essen von gestern und nach altem Mann. Mutig wagte sie sich weiter vor und wäre fast über Fetzen des zerlöcherten Linoleumbodens gestolpert, sie fing sich gerade noch, um gleich darauf in ein Meer von Schuhen zu fallen. Die ganze Diele stand voller breiter Treter, Stiefel, Generationen von Schlappen unbekannten Alters. Speckiges Leder und poröses Gummi hinterließen einen ekligen Film an ihren Händen. Gehörten die etwa alle diesem alten Mann?? Heftig schluckend rappelte sie sich aus dem Haufen auf, schob den Schuhberg zur Seite und tastete sich weiter vor, auf einen Lichtschein zu, zu dem Elías vielleicht verschwunden war.
    Irgendwo knackte es, Papier knisterte. Ein Löffel fiel zu Boden. Im ganzen Haus roch es durchdringend nach Heizöl.
    Es war die Küche, aus der das Licht kam, und jemand hatte Kaffee frisch aufgebrüht. Kaffee. Stark und schwarz und aromatisch. Lies schloss die Augen und sog den Duft ein – ein Kaffee würde sie retten nach der anstrengenden Fahrt über die Buckelpisten des isländischen Ödlands …
    Das Linoleum flüsterte, dass jemand mit Socken dar überlief. Elías erschien in der Küchentür, die Kaffeetasse in der Hand, und wirkte nicht besonders einladend.
    Lies schluckte. Was für ein unhöflicher Klotz. Der sah ja aus wie ein Troll. Sein Blick glitt an ihr herab, blieb an den Wanderschuhen hängen. Der struppige Bart bewegte sich, Worte rannen zwischen den Barthaaren heraus, sie verstand irgendwas von ›ausziehen‹ und ›sofort!‹. Siedendheiß fiel ihr ein, was Silke ihr eingeschärft hatte: immer die Schuhe ausziehen. Hastig nestelte sie an den Schnürsenkeln, tappte die paar Schritte zurück in die Dunkelheit und zog die Schuhe dort aus, wo es nach Schuhen, Fußschweiß und Schlimmerem roch und wo sie eben auf der Nase gelegen hatte. Als sie zurückkam, stand Elías immer noch in der Tür.
    Und er reichte ihr den Kaffeebecher mit beinahe großmütiger Geste.
     
    Das blieb dann aber auch die einzige freundliche Geste an diesem Tag.
    So jedenfalls kam es ihr vor, als sie spätabends in ihrem Zimmer auf dem Bett lag und die Decke anstarrte. Durchgelegenes Bett, muffige Wäsche. Das Abendessen – Eintopf mit undefinierbarem, fettigem Inhalt – lag ihr zentnerschwer im Magen, sie hatte zu hastig gegessen, und das Wasser aus dem Hahn war so kalt wie drei Gletscher gewesen, noch nachträglich schüttelte es sie. Einen zweiten Teller Eintopf hatte sie dankend abgelehnt, worauf der Topf sofort in einer Kammer neben der Küche verschwunden war – bei Elías Böðvarsson schien zumindest rund um den Herd militärische Ordnung zu herrschen. In der Spüle jedoch türmte sich der Abwasch, ansonsten war die Küche leer, keine Regale, keine Ablagen oder Bilder, nur ein einziger kahler Hängeschrank. Die Wand hatte vom jahrelangen Kochdunst eine gräuliche Farbe angenommen. Neben dem
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