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Der letzte Agent

Der letzte Agent

Titel: Der letzte Agent
Autoren: Jacques Berndorf
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wem Sie skalpiert werden wollen.«
    »Ich habe noch eine letzte Frage.«
    Er seufzte. »Ich kenne Sie: Damit werden Sie auf die Spuren zu sprechen kommen. Nein, es gibt keine Spuren. Treckerspuren, die Spuren der Langholzwagen, mit denen die Stämme abgefahren werden, Spuren von den Fräsmaschinen, die die Stämme entrinden. Sonst nichts.«
    »Mikrospuren? Hat er in einem Pkw gelegen?«
    »Er muss in einem Pkw gesessen haben. Aber es ist nicht klar, ob er noch lebte oder schon tot war. Die Mikrofasern deuten auf einen Opel der Mittelklasse hin. Der Wagen war nicht älter als zwei Jahre. Von denen fahren nun wirklich Tausende rum.«
    »Hat man die Farben der Fasern?«
    »Ja. Grau. Aber das hilft uns nicht weiter, weil die meisten Stoffbezüge, die Opel liefert, ein starkes graues Garn als Basis der Bezüge verwenden. Jetzt weiß ich aber wirklich nichts mehr.«
    »Aber ich habe trotzdem noch eine allerletzte Frage: Der Mann hatte ein Gesicht, als sei er viel im Freien. Es kann aber auch sein, dass er sich seine Gesichtsfarbe in einem Bräunungsinstitut holte.«
    »Sie vergessen wirklich nichts«, sagte er. »Der Mann hat nie auf einer Sonnenbank gelegen.«
    »Eigentlich hätte ich doch noch eine weitere Frage, aber beißen Sie mich nicht. Man kann auf verschiedenen Wegen an den Windbruch kommen. Es gibt mindestens zwei Waldwege von der Schnellstraße her und drei Waldwege, die auf größeren Umwegen dorthin führen. Irgendwelche Spuren auf diesen Wegen?«
    »Nichts, sagen die Kripoleute. Wirklich nichts! Kein Mensch weiß, wie der Kerl dorthin gekommen ist, außer dem Mörder oder den Mördern.«
    »Ich habe noch eine Frage«, sagte ich. »Ehrenwort, diesmal wirklich die letzte. Sie sagten, er habe vor seinem Tod Geschlechtsverkehr gehabt. Das ist mir zu diffus. Haben Ihre Kollegen Pathologen dazu Genaueres gesagt? Also: Hatte der Tote Geschlechtsverkehr mit einer Frau, mit einem Mann, oder hatte er überhaupt einen Partner? Das ist die Frage, Teil eins. Teil zwei: Wie lange vor seinem Tod hatte er Verkehr?«
    »Antwort auf Teil eins: Er war mit einer Frau zusammen. Die Frau hat übrigens die Blutgruppe A, Rhesus positiv. Antwort auf Teil zwei: Er war mit dieser Frau etwa eine Stunde vor seinem Tod zusammen. Antwort auf Teil drei, den Sie noch nicht gestellt haben, aber ganz sicher noch stellen werden: Als er mitten in dem Windbruch abgesetzt wurde, war er etwa seit dem gleichen Zeitraum tot, also seit einer Stunde. Und jetzt raus mit Ihnen.«
    »Sie würden mich erwürgen, also stelle ich Ihnen nicht noch eine Frage.«
    »Lassen Sie mich versuchen, Ihre nicht gestellte Frage zu erraten, dann habe ich wenigstens auch etwas davon. Sie wollen wissen, wo dieser Verkehr stattfand, also ob es Spuren in dieser Hinsicht gibt?«
    »Richtig.«
    »Die Antwort ist: Es war ein ordentliches deutsches Bett mit Bezügen aus weißem Leinen und Baumwolle. Allerweltsware. Und wenn Sie in drei Sekunden nicht draußen sind, fordere ich Polizeischutz an.«
    Ich trollte mich, weil ich sicher war, dass er mir alles gesagt hatte, was in Erfahrung zu bringen war – bis auf das, was er sich selbst dachte. Er war ein diskreter Mann.
    Was macht ein Journalist, wenn er einen Toten in der Eifel findet, der unmittelbar nach einer Liebesstunde verblichen ist, keinen Namen hat, dafür aber den Bauch voller Plastik? Er kann verzweifeln und sich um andere Dinge kümmern, er kann aber auch an den Ort der Tat zurückkehren und darüber nachsinnen, was diesen Toten in den Windbruch brachte. Bäume reden zwar nicht, aber sie geben mir jene Gelassenheit, die ich bei den meisten Menschen vermisse. Dieser Tote war des Nachdenkens wert. Er war weitaus nebelhafter als die zahllosen Spukgeschichten, die in der Eifel erzählt werden, in denen Poltergeister Wasserhähne aufdrehen oder mit Stühlen schmeißen, so dass brave Pfarrer durchaus einen Exorzisten aus Trier herbeirufen wollen. Dieser Tote war irgendwie lautlos in die Wälder geschlichen, geschafft worden.
    Ich fuhr also in den Windbruch.
    Die Besinnung wurde ein Reinfall, denn von Westen her war ein starker Wind aufgekommen, und die wenigen Bäume, die im Bruch stehengeblieben waren, bogen sich durch und erzeugten mit ihren Ästen teils peitschende, teils seufzende Geräusche. Es war entschieden zu laut, um mit Bäumen zu reden, zu hektisch für jede Art von Pantheismus.
    Wenn jemand eine Stunde nach seinem Tod und nach dem letzten Geschlechtsakt in einen Wald transportiert wird, kann man davon ausgehen,
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