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Der letzte Agent

Der letzte Agent

Titel: Der letzte Agent
Autoren: Jacques Berndorf
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nach vierzehn Tagen Liegezeit, beschloss ich, mich zu verwöhnen. Ich entschied mich für Spiegeleier nach Elvis-Presley-Art. Ich weiß, ich muss das erklären: Ich erhitze eine kleine Eisenpfanne, gebe dann etwa drei Esslöffel Distelöl hinein und lege drei Scheiben rohen Eifelschinken in das heiße Öl. Dann schreite ich zum Plattenspieler und lege Elvis Presleys ›Good Rockin Tonight‹ auf. Beim ersten Ton stehe ich bereits wieder an der Pfanne und schlage drei Eier auf den Schinken. Während nun Elvis abrockt, stehe ich da und schnuppere. Nach genau zwei Minuten und dreizehn Sekunden sind beide fertig: Presley und meine Eier.
    Während Elvis dann zu ›Heartbreak Hotel‹ und anderen Köstlichkeiten überging, mümmelte ich vor mich hin und war ungefähr in der Gegend von ›King Creole‹ fertig. Mutig ging ich dann vor das Haus und betrachtete die Buchenstämme. Sie stammten aus dem Gebiet, das ich immer den Märchenwald nenne, weil dort nie ein Tourist zu finden ist und deshalb alles wächst, was in der Eifel wachsen kann. Der Sturm namens Wiebke hatte den Märchenwald vollkommen zertrümmert, hatte Dreißig-Meter-Stämme wie Papier umhergewirbelt. Der dickste Stamm hatte einen unteren Durchmesser von gut achtzig Zentimetern und war von einer Windbö abgedreht und vollkommen zerspleißt worden. Mitten in diesen wohl halbmeterlangen Holzzungen, die vom Wind und Regen gebleicht waren, hing ein öliger Leinenlumpen, mit dem ein Waldarbeiter seine Motorsäge geputzt hatte.
    Meine Katze Krümel schnurte heran, und ich erklärte ihr: »Wir gehen die Sturmschäden inspizieren.« Sie sah so arrogant aus, dass sie glatt gesagt haben könnte: »Mal wieder vor der Arbeit drücken, wie?« Aber sie hatte zumindest verstanden, dass es um eine Fahrt mit dem Auto gehen sollte. Autos sind ihre Leidenschaft. Sie hüpfte also auf den Beifahrersitz, und ich wollte gerade starten, als das Telefon schrillte.
    Ich rannte hinein und sagte außer Atem: »Ja, bitte? Baumeister hier.«
    »Ich bin’s. Deine Tante Anni.«
    Ich sagte: »Aha«, dann nichts mehr. Es ist immerhin erstaunlich, im reifen Alter von rund dreiundvierzig Jahren zu erfahren, dass man eine Tante namens Anni hat.
    »Da biste platt, was?« krähte die Frauenstimme fröhlich.
    »Platt würde ich mich nicht nennen, eher uninformiert.«
    »Du kannst es glauben«, krakeelte sie triumphierend, »ich bin wirklich deine Tante Anni. Hat dein Vater nie von mir gesprochen?«
    »Nie, soweit ich mich erinnere. Bist du eine Schwester von ihm oder eine Schwester meiner Mutter?« Die ganze Sache roch sehr verdächtig, denn niemand von meiner außerordentlich liebenswerten Verwandtschaft hatte jemals von einer Tante Anni berichtet.
    »Ich bin weder noch«, erklärte sie hoheitsvoll. »Also, es ist so, dass ich aus der Verwandtschaft von deiner Mutter Seite eine Cousine zweiten Grades, also von der Cousine deiner Mutter, die wiederum einen Onkel deiner Mutter … ach, das ist alles fürchterlich kompliziert. Jedenfalls bin ich Tante Anni, und du bist der Siggi Baumeister. Und wir beide zusammen erben einen Bauernhof. Ziemlich groß, eigentlich so was wie ein Rittergut, gut siebenhundert Morgen, würde ich mal sagen …«
    »Moment mal, ich bin völlig verwirrt, ich bin total …«
    »Das weiß ich doch, mein Junge«, röhrte sie befriedigt, »das muss ja jeden verwirren. Also, wir erben einen Hof. In der ehemaligen DDR. In der Mark Brandenburg. Das war mal eine LPG, also eine landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft. Nun ist es eben alle mit dem Kommunismus, oder mit dem, was sie drüben hatten. Und ich habe einen Erbschein …«
    »Ich habe keinen Erbschein …«, rief ich. »Ich habe so ein verdammtes Ding nicht. Und ich weiß nix von einer Tante Anni. Und wer bist du überhaupt?«
    »Na, deine Tante Anni«, sagte sie vorwurfsvoll. »Weißt du, der Rest ist tot oder verschollen, oder was weiß ich. Und nun erben wir.«
    »Von wo rufst du an?«
    »Aus meiner Wohnung in Berlin. Weißt du was, mein Junge? Ich glaube, es ist das Beste, ich komme dich schnell mal besuchen. Dann können wir über alles reden. Sag mal, stimmt das, dass man in der Eifel noch richtige Schafherden sehen kann? Ich habe Schafe so gern.«
    »Ja«, sagte ich, nun deutlich leiser. »Wir haben hier ein paar Schafe. Zwanzig- oder dreißigtausend, ich habe sie lange nicht gezählt. Aber, wer bist du eigentlich, ich meine, wie …«
    »Nun beruhige dich mal, min Jung. Tante Anni regelt das alles.« Damit
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