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Der letzte Agent

Der letzte Agent

Titel: Der letzte Agent
Autoren: Jacques Berndorf
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legte die Frau mit der erstaunlichen Stimme auf Meine Katze Krümel war auf den Schreibtisch gesprungen, aalte sich auf einem Manuskript und sah mich an, als wollte sie sagen: Reg dich nicht auf, es klärt sich alles!
    »Ich spalte heute kein Holz«, sagte ich. »Ich habe ein Problem namens Anni. Und deshalb fahren wir jetzt in den Windbruch.«
    Wir zockelten mit dem Wagen los, fuhren auf den Golfplatz, überquerten die Schnellstraße und rollten dann nach links in den Wald. Krümel sprang durch das offene Fenster und entschwand irgendwohin, ich parkte den Wagen neben einem großen Stapel Tannenstämmen. Es roch nach Frühsommer, das Grün des Waldes war fast grell. Ich hockte mich auf einen Tannenstamm und stopfte mir eine Pfeife. Krümel schärfte sich neben mir ihre Krallen.
    »Also, wir erben irgendein Rittergut«, meinte ich murrend. »Irgendwann kommt diese Tante Anni. Vermutlich hat sie Gicht und böse Absichten. Das Leben ist auch ohne Rittergut schon schwer genug.« Da Krümel relativ wenig Ahnung von Grund und Boden hat, antwortete sie nicht, sondern schnüffelte aufgeregt an irgendeinem Loch im Boden herum, in dessen Tiefe vermutlich eine Spitzmausfamilie hockte. Dann fing sie an, wie verrückt die Erde aufzureißen.
    »Lass das sein«, sagte ich, »Spitzmäuse sind klug, Spitzmäuse haben immer einen zweiten und dritten und vierten Ausgang.«
    Hundert Meter querab nach Norden stand Andrés Kreuz an der Schnellstraße. Achtzehn Jahre war er alt, als er starb. Sie kamen zu dritt von irgendeiner Disco, es war frühmorgens. Irgend etwas geschah, irgendetwas ließ ihren Wagen von der Straße rasen. André starb im Chaos des vom Sturm entwurzelten Waldes. Das Dorf trug ihn zu Grabe, und alle seine Freunde kamen verwirrt und traurig und mussten fassungslos zur Kenntnis nehmen, dass sein Lachen zu Ende war. Eigentlich hatte ich ihn kaum gekannt, ich wusste nur, dass er jemand war, der gern lebte und mit Leidenschaft an Autos herumbastelte. Jetzt stand an der Stelle seines Todes ein Kruzifix, und immer brannten Kerzen, und immer blühten Blumen.
    Ich schlenderte den Weg entlang, links eine dichte Schonung von Weißtannen, rechts ein zehnjähriger Bestand von Mischholz. Nach hundert Metern senkte sich der Weg nach links in eine große Mulde, in der es aussah, als hätten Riesen mit den Fünfundzwanzig-Meter-Stämmen der Tannen Mikado gespielt. Der Grund war stark verworfen, Erdwälle fielen steil in Gräben ab, unten gluckerte Wasser. Auf einer Fläche von zweihundert mal fünfhundert Metern stand kein Baum mehr; mein Märchenwald war restlos zerstört, lag in einem chaotischen Durcheinander.
    Ich pfiff nach Krümel, und sie kam herangeschossen und mauzte laut. »Wir gehen jetzt in diesen Dschungel«, erklärte ich ihr. Sie reagierte nicht, sie hüpfte über einen Stamm und entzog sich der Antwort. Offensichtlich mochte sie den deutschen Dschungel nicht.
    »Angstvolle Katzen brauchen einen Anführer«, sagte ich und balancierte auf einem liegenden Stamm in das Gewirr. Sie turnte einige Meter hinter mir her, drehte sich, rannte zurück auf den Waldweg, sauste zehn Meter vorwärts, wandte sich wieder in das Astgewirr, kehrte um, hockte auf dem Weg und leckte sich die rechte Vorderpfote. Irgendetwas machte ihr Angst.
    »Es sind keine Wildschweine da, nicht einmal Karnickel«, meinte ich beruhigend. »Brontosaurier auch nicht und bestimmt kein Tyrannosaurus-Rex, also, was ist?«
    Aber sie kam nicht, sie blieb in der Sonne auf dem Waldweg hocken.
    Ich sprang von dem Stamm herunter, stand auf weichem Waldboden, kroch unter anderen Stämmen hinweg, suchte mir mühsam einen Weg und dachte über Tante Anni und das Rittergut nach.
    Dann fiel mir ein junger Vogelbeerbaum auf, nicht höher als anderthalb Meter. Ich hatte immer schon so einen Baum im Garten haben wollen. Er war auf einem winzigen Fleckchen inmitten totaler Zerstörung unberührt geblieben, er war eines jener kleinen Wunder, die uns so häufig begegnen und die wir so selten wahrnehmen. Die Goliaths, die ihm das Licht genommen hatten, waren umgeblasen worden, Davids Zeit war gekommen, falls nicht irgendwelche Waldarbeiter das Urteil »nutzlos« fällten.
    Krümel mauzte irgendwo, und ich rief: »Komm her!«
    Aber sie kam nicht, sie miaute aufgeregt und schimpfte herum und rannte auf dem Weg hin und her, zehn hektische Meter nach links, zehn nach rechts.
    Der Wind nahm zu und trieb eine dunkle Wolkenwand von Westen heran.
    Ich kroch zwei Meter tiefer in einen
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