Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarze Jagd - Wooding, C: Schwarze Jagd - Black Lung Captain (Book 2)

Schwarze Jagd - Wooding, C: Schwarze Jagd - Black Lung Captain (Book 2)

Titel: Schwarze Jagd - Wooding, C: Schwarze Jagd - Black Lung Captain (Book 2)
Autoren: Chris Wooding
Vom Netzwerk:
EINS
Flucht – »Waisen wehren sich nicht« – Pinn in der Zwickmühle – Reiseziel: Nach oben
    Darian Frey war ein Mann, der den Wert des taktischen Rückzugs kannte. Der Instinkt eines Spielers – ein ausgeprägtes Gespür für Chancen – sagte ihm, wann er ein Risiko eingehen konnte und wann er aussteigen musste. Es war keine Schande, davonzulaufen, als stünden die Fersen in Flammen, wenn die Situation es erforderte. Freys Ansicht nach bestand der Unterschied zwischen einem Helden und einem Feigling einzig und allein in der Beherrschung der Grundrechenarten.
    Zu seiner Linken arbeitete sich Malvery keuchend und schnaufend durchs Unterholz, eine übergewichtige Schnapsdrossel im Formtief. Pinn, kein bisschen fitter, aber erheblich dümmer, rannte neben ihm her. Ihnen folgte eine wutschnaubende, mit Gewehren, Pistolen und Knüppeln bewaffnete Horde, die nach ihrem Blut lechzte.
    In diesem Fall brauchte man nun wirklich keine komplizierten Berechnungen.
    Eine Salve von Schüssen krachte durch den Wald. Kugeln trennten Blätter ab, ließen Holzsplitter von Bäumen spritzen und zischten jaulend in die Nacht. Frey fluchte und zog den Kopf ein. Er krümmte die Schultern und
versuchte, sich klein zu machen. Weitere Kugeln folgten, schlugen überall um sie herum in Erde, Stein und Holz.
    Pinn jauchzte. »Blödes Bauernpack! Kann nicht mal richtig schießen!« Seine kurzen, dicken Beine pumpten unter ihm wie die eines übermotivierten Terriers.
    Frey teilte Pinns Begeisterung nicht. Ihm war übel von einer grauen Furcht; er wartete nur auf den Augenblick, in dem eine dieser Kugeln Fleisch fand, auf den harten Stoß von Blei in seinem Rücken. Wenn er besonders viel Pech hatte, bekam er vorher vielleicht einen Ast in die Augen, oder er brach sich ein Bein. Im Dunkeln durch den Wald zu laufen war alles andere als lustig.
    Er drückte seine Beute an die Brust: eine kleine, verschließbare Holzkassette, in der Dukaten klimperten. Nicht genug, dass es sich dafür zu sterben lohnte. Nicht einmal genug für eine mittelgroße Fleischwunde. Aber er würde jetzt nicht aufgeben. Schon aus Prinzip nicht.
    »Ich hab’s ja gesagt, es war eine schlechte Idee, ein Waisenhaus auszurauben«, meinte Malvery.
    »Nein, Crake hat das gesagt«, erwiderte Frey mit zusammengebissenen Zähnen. »Deshalb wollte er nicht mitkommen. Du hast es für eine gute Idee gehalten. Deine genauen Worte waren: ›Waisen wehren sich nicht.‹«
    »Na, stimmt doch auch«, verteidigte sich der Arzt. »Man muss sich bloß vor dem übrigen Dorf in Acht nehmen.«
    Freys Antwort wurde abgeschnitten, als der Boden unter seinen Füßen verschwand. Auf einmal purzelten sie in einem wirren Knäuel abwärts und rutschten durch kalten Schlamm. Frey schlug Halt suchend um sich, als der Wald vor seinen Augen schlingerte und herumwirbelte. Die drei durchbrachen eine Randzone aus Farngestrüpp und Büschen und landeten dahinter auf einem Haufen.

    Frey löste sich behutsam von seinen Kameraden und zuckte zusammen, als sich eine Vielzahl von Beulen und Kratzern bemerkbar machte. Die Kassette war ihm bei dem Sturz gegen die Rippen geschlagen, aber er hatte es irgendwie geschafft, sie festzuhalten. Er schaute zu dem mondbeschienenen Hang zurück. Er war niedriger und weitaus weniger steil, als Frey während des Sturzes geglaubt hatte.
    Malvery stand auf und versuchte halbherzig, den Schlamm von seinem Pullover zu wischen. Er rückte die Brille mit den runden grünen Gläsern zurecht, die wundersamerweise noch immer auf seiner Nase saß.
    »Jedenfalls habe ich meine Haltung überdacht«, setzte er seinen Gedankengang fort, als hätte es keine Unterbrechung gegeben. »Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass man die Beraubung einer Schar schutzloser Waisen als Tiefpunkt unserer Laufbahn betrachten könnte.«
    Frey zerrte an Pinn, der stöhnend am Boden lag. Er hatte zuunterst gelegen, und sein pausbäckiges Gesicht war dreckverschmiert. »Ich bin eine Waise!«, protestierte Frey, während er mit Pinns Gewicht kämpfte. »Für wen haben sie denn gesammelt, wenn nicht für mich?«
    Malvery strich sich den buschigen weißen Schnurrbart glatt und folgte Freys Blick den Hang hinauf. Das Licht von Fackeln erhellte den Wald, als die wütende Menge näher kam. »Das sollten Sie denen sagen«, meinte er. »Vielleicht besänftigt sie das ein bisschen.«
    »Stehst du jetzt endlich mal auf, Pinn?«, rief Frey und zerrte den Flieger auf die Beine.
    Obwohl der Mond über ihnen stand,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher