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Der letzte Agent

Der letzte Agent

Titel: Der letzte Agent
Autoren: Jacques Berndorf
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aufgezeichnet. Jedenfalls sind wir verwandt. Ach ja, und damit du nicht glaubst, ich bin bloß eine spinnige Alte, habe ich dir erst mal den Erbschein zu geben.« Sie drückte mir ein Kuvert in die Hand.
    »Findest du das eigentlich gut, dass wir ein Rittergut erben?« Sie trank bedächtig den Schnaps, zuckte die Achseln und setzte das Glas auf den Tisch. »Wir müssen das bei Gelegenheit überlegen. Aber warum hast du so unruhige Augen? Oder hast du die immer?«
    »Habe ich?« Ich zögerte. »Na gut. Hier ist ein Mann erschossen worden. Im Wald. Ich habe ihn gefunden. Komischerweise ist er mit irgendeiner Plastikmasse erschossen worden. Irgendein schreckliches Zeug, das im Körper aufquillt. Das macht mir zu schaffen.«
    »Mit einer aufquellenden Masse?« Sie hatte ganz schmale Augen bekommen.
    »Ja, ja. Es ist irgendein Zeug, das mit Lack überzogen wird. Wenn der Lack aufplatzt, quillt das Zeug.«
    »Ich habe im Flugzeug eine Zeitung gelesen. Da war ein Bild von dem Mann, ein Suchbild. Aber nichts von einer quellenden Masse.«
    »Die Bullen machen es manchmal sehr geheimnisvoll.«
    »Da gab es in den frühen Achtzigern Versuche mit Schaumstoffgeschossen. Ich habe damals gleich gesagt: Das kann eine Mordwaffe werden.«
    Ich war ziemlich verblüfft, meinte aber nur etwas geistesabwesend: »Aha, das hast du gleich gesagt.«
    »Ja. Und jetzt, mein Junge, mach mir bitte einen Kaffee, und dann lege ich mich ein Stündchen hin.«

2. Kapitel
    Wir hockten einander gegenüber, und sie wirkte mehr denn je wie eine misstrauische Krähe.
    »Ich passe nicht in dein Programm, nicht wahr?«, fragte sie.
    »Nicht doch, nicht doch«, wehrte ich ab. »Wir werden uns schon vertragen.«
    »Ich bleibe nicht lange«, stellte sie leicht eingeschnappt fest. »Wir klären die Sache mit der Erbschaft und ich verschwinde wieder.«
    »Du bist ja kaum hier«, widersprach ich. »Ich lebe allein, ich habe keine Familie, ich …«
    »Bei mir ist das genauso«, unterbrach sie. »Ich kenne das. Mein Leben lang war ich allein und …«
    »Nicht verheiratet?«
    »Nein«, sie lächelte. »Also es gab Anwärter und solche, die es sein wollten. Aber ich wollte nicht. Nix mit Männern.«
    »Wie heißt du eigentlich?«
    »Lange. Wie deine Mutter. Annemarie Lange. Also eine ordnungsgemäße Tante bin ich nicht. Ich bin ein Waisenkind. Mein Vater starb im Ersten Weltkrieg, meine Mutter holte sich in Ostpreußen beim Holzmachen im Wald die Tbc und starb daran. Ich kam in ein Waisenhaus. Ich wurde dann adoptiert, von der Familie deiner Mutter, ich heiße seitdem Lange. Ich habe dich zum letzten Mal gesehen, als du ein kleiner Junge warst. Zwei oder drei Jahre alt. Damals hieß das Sommerfrische, und es war auf Norderney.«
    »Wieso hat meine Familie nie etwas darüber erzählt?«
    »Ich glaube, die mochten mich nicht besonders«, sagte sie und starrte aus dem Fenster, irgendwohin. »Es war wohl deshalb, weil dein Vater eigentlich mich haben wollte, nicht deine Mutter.« Sie tupfte mit einem spitzen Zeigefinger auf einem Stück Brot herum und bedachte mich mit einem schnellen Blick. »Wir waren verlobt, dein Vater und ich. Damals in Berlin. Na ja, das ist lange her.« Sie lächelte flüchtig.
    »Wie alt bist du eigentlich?«
    »Sechsundsiebzig.«
    »Hättest du ihn geheiratet?«
    »Ich denke schon, na sicher.«
    »Und wie kommen wir jetzt an den verdammten Bauernhof?«
    »Das ist kompliziert. Ich bin durch Adoption ein normales Mitglied der Familie Lange. Von denen bin ich die letzte. Von Seiten deines Vaters bist du der letzte. So einfach ist das.«
    »Wieso habe ich nie von diesem blöden Rittergut erfahren?«
    »Weil ich beim Amtsgericht in Berlin bekannt war und wusste, wo du bist. Ich habe immer gewusst, wo du bist.«
    »Weil ich sein Sohn bin?«
    »Sicher.« Wieder dieser schnelle Blick. »Den Erbschein hast du ja jetzt.«
    »Ich will ihn nicht.«
    »Wie lebst du eigentlich?«
    »Das siehst du ja. Ich bin Redakteur oder Journalist oder Reporter, ganz wie du willst. Ich arbeite von hier aus. Frei.«
    »Und davon kann man leben?«
    »Ja, manchmal.«
    »Und Familie? Ich meine Frau und Kinder?«
    »Habe ich, habe ich gehabt. Sag mal, wieso weißt du eigentlich etwas von Schaumstoffen, die man verschießen kann?«
    »Weil ich zeit meines Berufslebens bei der Kripo war, mein Lieber.«
    »Und was hast du da gemacht?«
    »Alles. Angefangen hab’ ich neunzehnhundertfünfunddreißig beim Sittendezernat in Stettin. Das war eine böse Zeit. Und manchmal hatte ich
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