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Der letzte Agent

Der letzte Agent

Titel: Der letzte Agent
Autoren: Jacques Berndorf
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neben einem zersplitterten Tannenbaum hocken und horchte. Es macht keinen Sinn, ein paar Sekunden lang zu horchen und dann eine Entscheidung zu treffen. Man muss Geduld mitbringen, mindestens einige Minuten lang zu unterscheiden lernen, welches Geräusch in den Wald gehört und welches Geräusch etwas bedeuten kann. Das ist schwierig, die meisten Sonntagsjäger lernen es nie.
    Rechts von mir gab es ein leises brechendes Geräusch, Bruchteile einer Sekunde lang. Ich bewegte mich ganz vorsichtig darauf zu. Dann wiederholte sich das Geräusch von links. Wer immer es war, es bewegte sich also auf den linken Rand des Bruches zu. Eine Sekunde lang dachte ich erneut, es sei das Einfachste, kehrt zu machen, den Bruch zu verlassen, ihn zu umrunden, auf den Mann zu warten. Ich hätte auf diese Logik hören sollen.
    Ich bewegte mich parallel zu ihm, wenigstens bildete ich mir das ein. Dicht vor mir kam ein drittes Geräusch, diesmal klang es so, als laufe jemand einen Stamm entlang. Als ich mich aufrichtete, um irgendetwas zu erkennen, kam der Schlag von hinten und warf mich gegen einen Erdteller, den der Sturm hochgerissen hatte. Etwas fuhr schmerzhaft über meine rechte Gesichtshälfte, und sofort war es vollkommen dunkel vor meinen Augen. Ein dumpfes Feuerwerk explodierte in meinem Kopf.
    Sehr lange kann ich nicht ohnmächtig gewesen sein. Ich wurde wach, weil irgendetwas an meiner Haltung höchst unbequem war. Mein linker Arm hatte sich in einer starken Wurzel verfangen und hielt fast mein ganzes Gewicht. Das rechte Auge öffnete sich nicht sofort, weil etwas Blut hineingelaufen war und es verklebt hatte. Ich tastete meinen Kopf ab und fand einen Riss hinter dem rechten Ohr.
    Ich erinnerte mich daran, Tante Anni etwas von Forellen erzählt zu haben, und musste unwillkürlich grinsen. Also kämpfte ich mich auf die Beine und fand mich im Prinzip in Ordnung. Ich brachte es fertig, mit Hilfe meines Gasfeuerzeugs auf meine Armbanduhr zu schauen. Länger als eine halbe Stunde konnte dieser Ausflug nicht gedauert haben. Ich kletterte also aus dem Windbruch hinaus, und langsam machten sich Kopfschmerzen breit.
    Mein Gegner, wer immer es gewesen sein mochte, hatte gute Arbeit geleistet und davon profitiert, dass ich mich dümmer angestellt hatte als ein Pfadfinder bei seiner ersten Anschleichübung. Er war sogar so umsichtig gewesen, mir anschließend die Luft aus dem linken vorderen Reifen abzulassen. Mein Auto konnte ich vergessen.
    Meine Katze Krümel tauchte von irgendwo auf, und es schien mir so, als grinse sie, obwohl grinsende Katzen selbst in der Literatur äußerst selten sind. Wir machten uns auf den Heimweg. Ein Fußmarsch am Abend bringt die Verdauung in Schwung.
    Ich schlich von hinten in das Dorf, weil ich das fatale Gefühl hatte, dass dieser oder jener Treckerbesitzer an irgendeiner Ecke wartete, um über mich zu feixen. Ich versuchte, still und leise durch den Flur zu schleichen, das Badezimmer zu erreichen, aber Tante Anni stand wie ein kleiner, unbezwingbarer Berg im Weg und fragte kühl: »Hattest du einen Unfall oder so was?«
    »Nein, nein. Ich habe mich nur gestoßen.«
    Sie machte nur »Hm« und glaubte mir kein Wort. »Du musst aufpassen, dass sich das nicht entzündet. Am besten ist, du gießt irgendeinen Schnaps drüber.« Dann griff sie nach meinem Kopf wie nach einem Punchingball, bog ihn nach vorn und sagte anerkennend: »Nicht schlecht!«
    »Ich wasche mich nur ab, dann geht’s zu den Forellen.«
    »Du solltest vielleicht eine Hand voll Aspirin nehmen«, sagte sie milde und starrte mich so an, als sei ich ein bisher unbekannter Käfer. »Wir könnten die Forelle ja auf morgen verschieben.«
    »Hier wird nichts verschoben«, antwortete ich mannhaft. Der Riss hinter dem Ohr war ekelhaft, aber unbedeutend; es hatte nur heftig geblutet. Ich wusch mich gründlich, klebte ein Pflaster drauf, und wir machten uns auf den Weg, nachdem ich Erwin gebeten hatte, sich mal um mein Auto zu kümmern und irgendwie Luft in den Reifen zu kriegen. Erwin war auch so freundlich, mir sein Auto zu pumpen, das gefährliche Ähnlichkeit mit einer Rostlaube hatte. Aber es transportierte uns nach Niederehe zu den Forellen.
    Als wir uns an einen Ecktisch gesetzt hatten, fragte ich sie: »Wie kommt denn eine Frau wie du zur Kripo?«
    »Ganz einfach«, sagte sie. »Durch Jiu-Jitsu.« Sie lachte. »Also, das war so. Ich wuchs in der Allensteiner Gegend auf und ging nach der Schule als Hausmädchen nach Berlin. Das war damals eine
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