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Der lange Schatten

Titel: Der lange Schatten
Autoren: Alexandra von Grote
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einmal zwei Stunden am Nachmittag. Disziplin, darum ging es. Sie war unumgänglich, wollte man als Schriftsteller reüssieren. Zumal als Verfasser von Kriminalromanen! Tummelten sich in diesem Genre doch die meisten Autoren. Die Konkurrenz war groß, ein hart umkämpfter Markt. Die Verlage wurden mit Stapeln von Manuskripten überschüttet, und nur wer durch Zufall oder die richtigen Connections nach oben kam, der hatte ausgesorgt. Den anderen blieb die Hoffnung, es vielleicht auch einmal zu schaffen. Alles in allem hatte Christian Chatel Glück gehabt. Zwar war er weit davon entfernt, ein Bestsellerautor zu sein, doch er hatte seinen Platz im unteren Mittelfeld der französischen Krimiautoren gefunden, was bedeutete, dass er von einem kleinen Verlag publiziert wurde – wenn er auch von den bescheidenen Vorschüssen nicht leben konnte. So war ein zweites Standbein notwendig, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Der Krimiautor war Teilhaber einer kleinen Agentur, die Nachhilfestunden für Gymnasialschüler anbot. Büro und Räume der Agentur befanden sich am Boulevard Voltaire, unweit der Place de la Nation. Im näheren Umkreis lagen mehrere Schulen. An vier Abenden in der Woche gab Christian Chatel Schülern der Abschlussklassen Nachhilfe in Mathematik. Ein Broterwerb, der wenig Spaß machte, ihm jedoch ein Grundeinkommen sicherte.
    In der übrigen Zeit schrieb er. Mal mehr, mal weniger, doch immer diszipliniert, oft gegen die Einsamkeit am Computer und die zeitweise Ideenlosigkeit ankämpfend. Vor sieben Monaten hatte seine Freundin Daphne sich von ihm getrennt und sich mit einem Eventmanager zusammengetan. Ein gelackter Typ mit kahl geschorenem Schädel und einem Brillanten im Ohrläppchen. Seitdem lebte Christian allein in der winzigen Zweizimmerwohnung im zwölften Arrondissement, die jeden Monat eintausendfünfhundert Euro Kaltmiete verschlang. Da blieb von seinen knappen Einkünften nicht mehr viel übrig. Seit Daphnes Verschwinden hatte es einige kurze Affären gegeben, aber nichts Ernsthaftes. Christian hatte es nicht eilig mit einer neuen Beziehung. Klar, irgendwann wollte er eine Familie gründen und Kinder in die Welt setzen. Aber mit fünfunddreißig Jahren konnte er das in aller Ruhe angehen und warten, bis er endlich die Richtige traf. Außerdem – vielleicht kam doch noch sein Durchbruch! Denn einen Autor, der erfolgreich ist, finden die meisten Frauen attraktiv, den verlassen sie nicht so schnell. Vier Kriminalromane hatte er bisher geschrieben, jeder nur ein mäßiger Erfolg bei den Lesern. Eine Siebenzeilenkritik in Le Monde vor einem halben Jahr war bisher die einzige öffentliche Reaktion auf seine Arbeit, und der Idiot von Kritiker hatte sich auch noch genüsslich über Christians Text ausgekotzt. Ein Verriss, gegen den man sich als Autor nicht zur Wehr setzen konnte, obwohl der Schreiberling weder den Plot verstanden noch den Inhalt des Buches korrekt wiedergegeben hatte.
    Christian glaubte an sich. Beim Lesen der Bücher von Vargas oder Grangé oder Autoren aus dem Ausland fragte er sich oft, wieso diese Leute derartig hohe Auflagen schafften? Er selbst schrieb nicht schlechter als sie! Seine Ideen waren originell, die Plots spannend, seine Sprache knapp und präzise. Mit seiner gehbehinderten, dunkelhäutigen Kommissarin Laurence Dart, die in den Pariser Vororten ermittelte und deren Eltern als analphabetische Immigranten von der Elfenbeinküste nach Paris gekommen waren, hatte er eine Figur geschaffen, die es in der Krimilandschaft noch nicht gegeben hatte. Auch international gesehen nicht. Woran lag es, dass die Leser dies nicht honorierten und er bis jetzt erfolglos geblieben war? Christian wusste es nicht. Er wusste nur, dass er nicht aufgeben würde, weil er fest von sich überzeugt war.
    In dem Roman, an dem er momentan arbeitete, ging es um den Fall eines soziopathischen Leichenschänders, der nachts in die Räumlichkeiten von Bestattungsunternehmen einbrach und über die aufgebahrten Toten herfiel. Ein Thriller der Extraklasse, wie Christian fand. Als er seinem Verlag den Plotvorschlag unterbreitete, blieb die Reaktion seiner Lektorin lau und zurückhaltend.
    »Nekrophilie ist heutzutage nicht mehr originell, Christian. Das gibt es schon haufenweise«, hatte die Lektorin lakonisch erwidert und wollte nur dann einen Buchvertrag genehmigen, wenn Christian damit einverstanden war, dass sein Vorschuss herabgesetzt wurde. Der Verkauf seiner Bücher stagniere, meinte die
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