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Der Lambertimord

Der Lambertimord

Titel: Der Lambertimord
Autoren: Arnold Kuesters
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deutsche Frau hatte wie eine Mutter einen Arm um seinen Vetter gelegt. Alle drei lachten fröhlich in die Kamera. Vor ihnen lag an einer langen Kette ein zerzaust und mager aussehender Hofhund.
    Stanislaw hatte sich mit Georg gefreut. Auch, weil er ihm die dicken Buchstaben übersetzt hatte, die unter dem Foto mit der blonden Frau standen. Nun wußte er, daß sie Schauspielerin war und Sharon Stone hieß. Sie hatte gesagt: »Als mein Kopf explodierte, war es das beste, was mir passieren konnte.« Ein merkwürdiger Satz für eine so schöne Frau, hatte Stanislaw gedacht. Was er bedeuten sollte, wußte sein Vetter auch nicht. Aber das war Stanislaw egal.
    Immer wieder hatte er die Laute wiederholt, die ihm sein Cousin langsam vorgesprochen hatte. Bis er sie auswendig konnte: »Als mein Kopf äksplodierte, war es das Bästä, war mirr passirren konntä.« Das waren seine ersten deutschen Worte. Klang irgendwie geheimnisvoll und gut. Er lachte über die ungewohnten Laute. Bei jeder Gelegenheit hatte er sie wiederholt und dabei das Foto angesehen. Er hatte jetzt einen großen Schatz, den ihm niemand wegnehmen durfte.
    Von seinem Versteck aus betrachtete er die blonde Frau vor ihm, die sich arglos bückte, um ein Stück Papier vom Boden aufzuheben. Stanislaw explodierte fast der Kopf, als er daran dachte, was sich unter dem kurzen Rock der jungen Frau verbarg. Sie war so schön, so jung und unbekümmert. Sie war wie ein Traum, aus dem er nicht aufwachen wollte. Aufgeregt rückte Stanislaw noch näher an den schmalen Spalt, der ihm nur einen unbefriedigenden Blick auf ein schmales Stück Hof frei gab. Aber Stanislaw genügte dieser kleine Ausschnitt aus einem anderen Leben. Vorerst.
    Er fühlte sich schmutzig und schuldig – und wollte doch diese Frau besitzen, die ihn so sehr an Irina erinnerte. Irina, meine Irina, wie schön sie doch war. Er mußte sie besitzen. Um jeden Preis. Gleichzeitig wußte er schmerzvoll, daß sie ihn nicht wahrnehmen würde, wenn er sie ansprechen würde. Einmal waren sie sich kurz auf dem Hof begegnet. Sie hatte nicht einmal richtig hingesehen, als sie ihm flüchtig zunickte, bevor sie in ihren Wagen stieg und davonfuhr. Die ganze Nacht hatte er wachgelegen und immer wieder das Bild von Sharon Stone und die Unterschrift angesehen: »Als mein Kopf explodierte, war es das beste, was mir passieren konnte.« Er konnte den Satz mittlerweile fast ohne Akzent sprechen, »… das beste, was mir passieren konnte.« In dieser Nacht explodierte sein Kopf das erste Mal.
    In den Tagen danach hatte er immer wieder nach kleinen Gelegenheiten gesucht, um sich auf dem Hof aufzuhalten. Er wollte die schöne junge Frau mit den kurzen blonden Haaren, die in seinem Alter sein mußte, unbedingt wiedersehen. Seine Sharon , wie er sie heimlich nannte, war zu ihm gekommen. Stanislaw hätte sich über jede noch so winzige Begegnung gefreut, aber er hatte sie nur noch einmal von weitem in ihrem Auto gesehen. Dabei hatte ihn das wenige, was er bei dieser Gelegenheit von ihr hatte sehen können, fasziniert und erregt. Er war in seinen eigenen Gedanken gefangen. Denn er würde sich nie trauen, sie anzusprechen. Und er hätte nicht sagen können, was passiert wäre, wenn sie ihn unerwarteterweise angesprochen hätte.
    An Irina hatte er schon lange nicht mehr gedacht. Das war endgültig vorbei. Stanislaw stand an der Schwelle zu einem neuen Leben. Das wußte er, und dafür hatte er alles aufgegeben. Einen ersten Schritt hatte er schon getan. Er liebte seine Sharon, dessen war er sich ganz sicher. Und sie würde ihn auch lieben. Schade nur, daß er den anderen nichts von seiner Liebe erzählen konnte. Sie würden ihn nicht verstehen, ihn bestenfalls für einen armen, verwirrten Spinner halten – und ihn mit seiner Beichte aufziehen. So wie damals sein Bruder ihn mit der Gitarristenpose noch Wochen später geärgert hatte. Dabei wollte er doch nur ein bißchen glücklich sein. Hatte er nicht ein Recht darauf? Ein kleines bißchen Glück für Stanislaw, das war doch wirklich nicht zuviel verlangt. Einmal, nur einmal in seinem Leben, wollte er auch im Mittelpunkt stehen, begehrt und geliebt von einer schönen Frau, begehrt und geliebt von Sharon …
    Wenn er solche Gedanken hatte, war er bei der Arbeit noch schweigsamer als sonst. Seine Arbeitskollegen sagten dann, wirst sehen, das Heimweh wird weggehen. Du mußt dich nur gewöhnen. Die Zeit heilt alle Wunden. Bete, das hilft. Oder trink mit uns. Aber Stanislaw schüttelte dann
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