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Der Lambertimord

Der Lambertimord

Titel: Der Lambertimord
Autoren: Arnold Kuesters
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so etwas wie das fleischgewordene Gedächtnis der Mönchengladbacher Polizeibehörde.
    Und das war durchaus wörtlich gemeint. Heinz-Jürgen Schrievers brachte locker 120 Kilo auf die Waage, sein mächtiger Bauch war eine ständige beträchtliche Belastung für Stoff und Knöpfe an seinem Hemd. Es gab Tage, da platzte der Knopf, der an der dicksten Stelle seines Bauches nur mühsam den aufs äußerste gespannten Stoff hielt, ohne Vorwarnung ab. Einfach so. Dabei spielte es für diese unsensiblen Kunststoffknöpfe nicht die geringste Rolle, ob Schrievers nun in einer Besprechung mit seinen Vorgesetzten saß oder in der Kantine.
    Durch ähnliche Vorfälle in den zurückliegenden Jahren abgehärtet, zog Heinz-Jürgen Schrievers in solchen Momenten ungerührt seine voluminöse Strickjacke einfach ruckartig ein Stück weiter vor seinen Bauch. Dabei sah er jedem in der Runde offen und herausfordernd ins Gesicht. Es war somit klar, daß diese Situationen mit nicht mehr als einem gelegentlichen unterdrückten Räuspern kommentiert wurden. Der Hauptwachtmeister nickte dann dabei selbstzufrieden, als sei er ganz allein im Raum.
    Frank versuchte es noch einmal mit Klopfen. Nichts. Dabei steckte der Schlüssel in der grauen Tür. Ein untrügliches Zeichen dafür, daß sein Kollege in seinem Büro sein mußte. Als er beim dritten Versuch immer noch kein »Herein« hörte, drückte er einfach die Türe auf und trat ein.
    Frank hätte es wissen müssen. Heinz-Jürgen Schrievers saß auf seinem – für seinen massigen Körper viel zu kleinen – Schreibtischstuhl und kaute an einem Butterbrot, das offensichtlich aus einer grünen Tupperdose stammte, die mit offenem Deckel vor ihm stand. Beim Anblick des zufrieden kauenden Heinz-Jürgen begann Franks Magen übergangslos zu knurren. Hunger. Er hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen. Er hatte wieder einmal einfach vergessen, sich Frühstück zu machen. Seit seine Frau ausgezogen war und er allein lebte, bekam er kaum noch eine geregelte Mahlzeit.
    Das lag daran, daß er in seiner für ihn allein viel zu großen Wohnung nicht alleine kochen wollte, und er sich andererseits auch nicht in die Kantine im F-Trakt des Präsidiums setzen wollte. Der Kantinenwirt konnte am allerwenigsten dafür. Frank mochte beim Essen einfach keine Kollegen um sich haben. Meist aß er nach Dienstschluß in einer Pommesbude, die auf seinem Weg lag, eine Portion Fritten oder ein halbes Hähnchen. Manchmal machte er einen Umweg ins Café Trotzdem, oder ins 4,3 auf der Rheydter Straße, wenn er Lust auf Türkisches hatte. Aber das kam eher selten vor.
    Schrievers sah den hungrigen Blick von Frank und schob ihm uneigennützig die Tupperdose hin. Dabei verrutschte seine goldene Brillenfassung, die an einer gedrehten Kordel um seinen Hals hing und mit ihren Gläsern auf seinem mächtigen Bauch ruhte. Frank konnte in der offenen Dose eine dicke halbe Scheibe Weißbrot und eine halbe Scheibe Schwarzbrot erkennen, dazwischen eine undefinierbare graue Masse. Fingerdick geschmiert.
    »Willst’n Brot? Du siehst hungrig aus. Ist Leberwurst drauf, original geschmiert von Gertrud. Da nimm. Ich bin eh’ fast satt. Ich hätte es doch nur noch aus Appetit gegessen. Hat mir aber mein Arzt verboten.« Schrievers kaute genußvoll weiter und balancierte dabei auf dem leicht gekippten Stuhl gefährlich leichtsinnig hin und zurück. »Hm, himmlisch.«
    »Ich soll nur noch das essen, was mein Körper braucht, sagt er.« Heinz-Jürgen Schrievers schmatzte ungeniert beim Sprechen. »Aber woher soll ich wissen, was mein Körper braucht? Außerdem kocht Gertrud einfach zu gut.«
    Gertrud konnte nicht nur gut kochen, das wußte Frank. Ihre Plätzchen waren jedes Jahr auf ihrer Weihnachtsfeier im Präsidium ein gefragter Tombolapreis.
    »Nein, danke, Heini. Ich wollte dich nur kurz was fragen.« Frank verbesserte sich. »Heinz-Jürgen.« Wie gesagt, er wußte, daß sein Kollege die Kurzform seines Namens auf den Tod nicht ausstehen konnte. Und er wußte auch, daß Heinz-Jürgen bei Mißachtung seines vollen Namens unausstehlich werden und dann wichtige Terminsachen einfach für eine gewisse Zeit vergessen konnte – zur Strafe.
    Frank konnte jetzt nur noch mit Mühe den Impuls unterdrücken, nach dem angebotenen Brot zu greifen.
    »Na, dann setz dich erst mal, Jung. Watt kann ich für dich tun?«
    Frank war erleichtert. Noch einmal Glück gehabt. Schrievers war offenbar in Gönnerlaune. Trotzdem, bei Jung war Frank leicht
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