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Der Lambertimord

Der Lambertimord

Titel: Der Lambertimord
Autoren: Arnold Kuesters
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zusammengezuckt. An diese Marotte konnte nun wiederum er sich nicht gewöhnen. Obwohl fast gleichen Alters, nannte Schrievers ihn stets Jung , so als sei er Franks Opa. Aber mit diesem Tick des Archivars mußten auch die anderen Kollegen leben.
    Frank vermutete, daß diese Angewohnheit mit der Herkunft Schrievers zu tun hatte. Denn Heinz-Jürgen Schrievers kam von einem Bauernhof in der Nähe von Amern. Er war eins von sechs Kindern, vier Jungen und zwei Mädchen, die auf dem Hof groß geworden waren. Weil nicht alle vom Rübenanbau oder der Milchviehwirtschaft leben konnten, war nur der Älteste von ihnen Bauer geworden und hatte den elterlichen Hof übernommen. Die beiden Mädchen hatten als »gute Partie« eingeheiratet und lebten als Bäuerinnen auf großen Betrieben irgendwo im Heinsberger Raum. Ein Bruder von Heinz-Jürgen hatte Landmaschinentechniker bei einem Neusser Traktorenbauer gelernt und sich später selbständig gemacht, der Zweitälteste war Rechtsanwalt geworden.
    Heinz-Jürgen Schrievers hatte sein Leben lang nichts anderes werden wollen als Beamter. Das hatte er dann auch geschafft und war vor Jahren nach einigen dienstlichen Umwegen im Präsidium an der Theodor-Heuss-Straße gelandet. Einige jüngere Kollegen meinten, Schrievers sei quasi im Archiv groß geworden. Seine wirkliche Herkunft hatte Schrievers dabei nie verleugnen wollen oder können. Denn neben den unvermeidlichen grauen Strickjacken mit Zopfmuster, die er jahrein, jahraus über seinen stetig größer werdenden Uniformhemden trug, verrieten seine rosigen Wangen, daß er als Kind und Jugendlicher bei Wind und Wetter auf dem Traktor seines Vaters gesessen hatte, um bei der harten Arbeit zu helfen.
    Frank setzte sich umständlich und räusperte sich.
    »Na, da bin ich doch gespannt.« Heinz Jürgen Schrievers lehnte sich erwartungsvoll in seinem Schreibtischstuhl zurück, der dabei verdächtig krachende Geräusche von sich gab. Schrievers schien das nicht zu stören.
    »Ich war am Wochenende mit meiner Band in Bracht. Nach dem Konzert habe ich an der Theke gehört, daß eine junge Frau verschwunden ist. Angeblich schon seit ein paar Wochen. Das hat mich an die anderen Vermißtensachen aus der Gegend erinnert. Wenn ich nicht falsch liege, sind dort in den vergangenen Jahren vier Mädchen bzw. Frauen verschwunden. Eine der jungen Frauen ist dann tot aufgefunden worden. Ich hab gedacht, ich frag mal nach. Reines Interesse.«
    »Ich weiß. Das war die kleine Ruth. Ruth Meisen. Eine schreckliche Geschichte. An der Autobahn bei Eindhoven gefunden, erschlagen.«
    Frank war baff. Selbst das Hungergefühl war mit einem Mal weg. »Woher weißt du das so genau? Ohne nachzusehen?«
    Schrievers mußte wirklich ein phänomenales Gedächtnis haben. Frank jedenfalls war überzeugt, daß er selbst die Fakten niemals so fix parat gehabt hätte. Dieser Schrievers war schon ein seltsamer Vogel.
    »Brauchst gar nicht so perplex zu gucken. Kannst den Mund wieder zumachen. Die Erklärung ist ganz einfach: wir sind mütterlicherseits über ein paar Ecken mit den Meisens verwandt.« Schrievers hatte sichtlich Spaß an Franks Gesichtsausdruck, wurde aber sofort ernst. »War eine schlimme Sache, damals. Seither ist Inge, Ruths Mutter, in Behandlung. Und Kurt hat schon versucht, sich auf dem Heuboden aufzuhängen. Sein Futterlieferant hat ihn gerade noch rechtzeitig abschneiden können. Wirklich schreckliche Geschichte.«
    Frank nickte. Er hatte sich wieder gefangen, auch das dunkle Knurren war wieder da. »Gibt es bei uns irgendwelche Unterlagen über die Fälle?«
    Schrievers drückte sich von seinem Schreibtisch ab und stand auf. Die Rollen seines Stuhls kreischten in ihren Lagern. Frank traute seinen Augen nicht. Schrievers trug wirklich Pantoffeln. Braunkarierte Filzpantoffeln während der Dienstzeit. Das konnte sich auch nur der Dicke erlauben. Fehlte nur noch die Meerschaumpfeife und das Zipfelmützchen, so wie Frank es auf alten Bildern mit Szenen niederrheinischer Gemütlichkeit gesehen hatte.
    Schrievers zog hinter sich die Metallschublade eines dunkelgrauen Aktenschranks auf. Obwohl auf seinem Schreibtisch ein fast neuer PC mit Flachbildschirm stand, vertraute der Hauptwachtmeister lieber seinen Karteikarten.
    »Ich weiß, was du jetzt sagen willst, Frank. Aber mit meinen Karteikarten und meinem Ordnungssystem schlage ich jeden Computer. Na ja, meistens jedenfalls.«
    Schrievers schob mit einem krachenden Laut die Lade zu und öffnete das nächste Fach.
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