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Der Lambertimord

Der Lambertimord

Titel: Der Lambertimord
Autoren: Arnold Kuesters
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so gut aufgepaßt, hinten im Heu, daß ja keiner kommt und sie erwischte. Das Herz wäre ihm fast gebrochen.
    Seitdem hatte er seine Irina, wie er sie für sich nannte, nur sonntags beim Kirchgang heimlich beobachten können. Wenn er von der heiligen Kommunion zurück in seine Bank ging, hatte er sie für einen winzigen Augenblick aus seinen Augenwinkeln betrachten können. Wie schön sie doch war! Mit ihren langen Locken, die sich nicht bändigen ließen, und ihrer weißen Bluse. Mit gesenktem Kopf hatte sie in ihrer Bank gekniet. Sie hatte ihre Hände gefaltet, aber Stanislaw spürte genau, daß auch sie ihn beobachtete.
    Aber die Erinnerung an Irina war schon fast verblaßt. Nur manchmal noch, nachts, wenn er nicht schlafen konnte, dachte er an sie. An ihre zärtlichen blauen Augen, an die sanfte Kurve, mit der ihr Rücken am Po auslief, und an ihr blondes Haar. Immer wieder an ihr blondes Haar. Spätestens dann war das Bild von Irina eins mit dem Foto dieser amerikanischen Schauspielerin, das er in seiner Schlafecke fein säuberlich an die Wand geheftet hatte.
    Die Frau aus Amerika war auch blond und hatte auf dem Foto eine Federboa um ihren schlanken, halbnackten Oberkörper geschlungen. Ihren Kopf hatte sie für den Fotografen mit einem Lachen zurückgeworfen. Ihre kurzen Haare waren fast eins mit den Federn. Ihre rechte Hand hatte sie wie zufällig quer über ihre Brust gelegt, damit sie ihre Boa auf der linken Schulter festhalten konnte. Die Frau sah auf dem leicht unscharfen schwarzweißen Foto jung aus. Und sie war schön.
    Stanislaw mochte diese Pose, die ihn an eine andere Frau erinnerte; die er schon mal in einem dieser alten schwarzweißen Hollywood-Filme gesehen hatte und die schon lange tot war.
    Er hatte das Foto aus einem Musikmagazin herausgerissen, das er auf der Bank auf einem Parkplatz an der Schnellstraße nach Warschau gefunden hatte. Sein Onkel hatte ihn damals mitgenommen und an der Raststätte angehalten, zum Pinkeln. Sie hatten sich Arbeit in Warschau suchen wollen. Obwohl sie von morgens bis abends unterwegs waren, hatten sie nichts gefunden. Nachts hatten sie im Auto geschlafen. Bis ihm die Augen zufielen, hatte er damals in dem Heft geblättert. Schließlich waren sie nach vier Tagen wieder in ihr Dorf zurückgefahren, weil sie kein Geld und kaum noch etwas zu essen hatten. Das Foto und das Magazin aber hatte er behalten. Weil er die Aufnahme der Frau so schön fand.
    Er hatte sich nur die Bilder in dem Heft ansehen können, denn es war die deutsche Ausgabe des Rolling Stone. Und Deutsch konnte Stanislaw weder lesen noch sprechen. Seine Freunde hatten ihn deswegen aufgezogen, weil er sich immer nur die Bilder angesehen hatte. Einmal hatte ihn sein älterer Bruder dabei erwischt, wie er vor dem Spiegel im Badezimmer einen Musiker nachgemacht hatte, der auf einem der Fotos in dem Heft wild Gitarre spielte. Gleich danach hatte er das Bild der Frau herausgerissen und das Heft in den Kohleofen geworfen. Er hatte solange an der offenen Ofentür gewartet, bis das Heft Seite für Seite in roten Funken verglüht war. Erst danach hatte er langsam die gußeiserne Türe zugeschoben. Lange hatte er an dem Tag an Irina gedacht und dabei das Bild mit der amerikanischen Frau in seinen Händen angesehen.
    Später hatte er das Bild in seinem Zimmer aufgehängt. Neben die alten Filmplakate. Die schöne blonde Frau neben Filmszenen mit Heinz Rühmann und Hans Moser. Stanislaw mochte die alten Schwarzweißfilme. Immer wieder war er ins Kino gerannt, wenn auf Plakaten die alten Filme angekündigt wurden. Wenn der Vater mit dem Sohne mochte er besonders. Der Film, in dem der Vater seinem Jungen so schön das Schlaflied Lalelu vorsingt. Nach dem Kino hatte er jedes Mal noch lange die Melodie von Lalelu gesummt. Sein Vater hatte nie mit ihm gesungen. Nun hing dieses Bild in seinem Zimmer. Und auf einmal mochte er die blonde Frau auf seiner Wand noch mehr als Heinz Rühmann.
    Einige Wochen später war sein Vetter aus Deutschland zurückgekommen. Er hatte dort drei Monate auf einem Bauernhof gearbeitet. Er war schon ein paar Mal auf dem Hof gewesen – eingereist immer mit einem Touristenvisum. Ganz begeistert hatte er davon erzählt, daß er gut behandelt worden sei, in Deutschland. Stanislaw konnte sich nichts unter Deutschland vorstellen. Wie zum Beweis hatte sein Vetter dann ein paar Fotos gezeigt, die ihn neben einer dicken Frau in Kittelschürze und einem älteren Mann mit zerbeultem Hut zeigten. Die fremde
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