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Der Kulturinfarkt

Der Kulturinfarkt

Titel: Der Kulturinfarkt
Autoren: Stephan Pius u Opitz Armin u Knuesel Dieter u Klein Haselbach
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mussten auch Kulturzentren erneut saniert werden. Da reibt man sich die Augen: Öffentliche Mittel sind knapp, am besten wäre ein Verkauf oder eine wirtschaftliche Nutzung, aber möglichst durch einen kulturell engagierten Investor, dem auch Altruismus kein Fremdwort ist. Manchmal hat man Glück und die Sparkassenorganisation übernimmt, wie in Schloss Hardenberg, manchmal saniert man nur aufs Allernotwendigste, behilft sich jahrzehntelang mit einem Provisorium, und dann sitzt ein Bundesland mit seinem fix ausgerufenen Landeskulturzentrum auf einmal auf einem kaum veräußerbaren Denkmalschutzobjekt, so geschehen beim Herrenhaus Salzau in der schleswig-holsteinischen Probstei.
    Die kulturelle Nutzung hat nur in wenigen Fällen eine nachhaltige Konversion ehemaliger Industrie- und Gewerbestandorte eingeleitet – natürlich gehören Adressen wie Kampnagel in Hamburg oder die Kulturkaserne Basel dazu. Häufig wurde öffentlicher, denkmalgeschützter Besitz in den goldenen Siebzigern und silbernen frühen Achtzigern saniert. Die kameralistischen Investitionen kannten die Jährlichkeit, aber keine Nachhaltigkeit. Dass irgendein Schloss oder irgendeine Burg in öffentlichem Besitz gegenwärtig keinen neuen Sanierungsstau hat, ist sehr selten. Jede Nutzung, auch durch die öffentliche Hand, sollte auf einen betrieblichen Verlauf von mindestens einer Generation ausgelegt sein, dementsprechend sind Geschäftsmodelle zu entwickeln. Investitionen für die Sicherung von Denkmälern loszutreten und dann in mageren Haushaltsjahren die Sprossenfenster nicht mehr streichen zu können, das ist verantwortungslos.
    Fragen nach dem Zusammenhang von Erhalt und Nutzung kann man nicht hoheitlich beantworten. Die Identität einer Gesellschaft kann man mit Ritualen, Symbolen, Bildern, Texten, Tönen, Bauten entwickeln, beschwören und beschreiben, und all dem gegenüber kann man Achtung, möglicherweise Empathie entwickeln. Je mehr man darüber weiß, desto leichter wird es einem fallen, andere Identitäten im ständigen interkulturellen Abgleich wahrzunehmen, und umso besser wird man die eigene kennen, vielleicht sogar lieben können. Wenn man das akzeptiert, dann müsste die hoheitliche Aufgabe nur darin bestehen, Raum, Zeit und Kenntnis für diese Fragen zur Verfügung zu stellen. Wie kann man das organisieren?
    Es braucht Denkmalschutz, das ist eine Gesellschaft ihrer Geschichte schuldig. Das spricht für denkmalpflegerische Rahmenbedingungen (mit der Betonung auf Rahmen), die bundesweit verpflichtend formuliert sind. Diese müssten die drei öffentlichen Ebenen (Bund, Länder, Gemeinden) und den Bezug zu den Interessen der Wirtschaft und des dritten Sektors organisieren. Denkmalschutz muss mit hohen fachlichen Standards auf allen drei öffentlichen Ebenen bei Raum-, Bau- und Investitionsplanung eingebunden werden. Es ist nicht recht nachzuvollziehen, dass denkmalschützerische Fachkompetenz auf mittlerer und kleinerer kommunaler Ebene kaum mehr vorhanden ist und Raumplanung sowie Städtebau keine verpflichtenden Schnittstellen mit dem Denkmalschutz haben.
    Neue Rahmenbedingungen würden, auch aus ökologischen Gründen, der Nutzung historischer Bausubstanz unbedingten Vorzug einräumen. Erhalt ohne Nutzung würde nicht gestützt. Die Verbindung von Erhalt, Nutzung und kollektiver Anschauung zielt auf das einzelne Baudenkmal ebenso wie auf die Anliegen von Ensemble- und Umgebungsschutz. Das Feilschen um den Abstand eines historischen Stadtkerns zu einem Gewerbegebiet oder um durch Windkraftanlagen zerschnittene Sichtachsen zwischen Denkmalpflege einerseits, Kommunen und Investoren andererseits wird durch eine Abwägung der Nutzenvorteile aller Beteiligten ersetzt. Hoheitliches Pochen auf Erhalt reicht erfahrungsgemäß nicht aus. Italien mag nicht unbedingt ein Vorbild für erfolgreiches staatliches Handeln sein, die städtebaulichen Ensembles im Stiefel einschließlich des von Hochhäusern befreiten Inneren Roms sprechen jedoch für ein offenbar gut funktionierendes, nutzenorientiertes Leben mit der Anschauung.
    Die Rahmenbedingungen lassen Spielraum für individuelle Entscheidungen. Bei Ausbau und Restaurierung eines barocken Stadtpalais aus dem späten 17. Jahrhundert aus ideologischen, eigentlich historisierenden Gründen jede neue Form von Gaube zu verbieten oder vorzuschreiben, welche historische Form und Funktion die Nägel in den Balken haben müssen, ist genauso fragwürdig, als würde man aus Gründen der Verpflichtung der
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