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Der Kulturinfarkt

Der Kulturinfarkt

Titel: Der Kulturinfarkt
Autoren: Stephan Pius u Opitz Armin u Knuesel Dieter u Klein Haselbach
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Soziokultur hat gezeigt, dass es jenseits der öffentlichen Kulturförderung weite Handlungsfelder zu entdecken und zu entwickeln gibt. Dazu gehört die Laienkultur. Wenn es für Soziokultur ein öffentliches, kulturpolitisches Mandat gibt, so würde dies auf die institutionelle Unterstützung von lokalen privaten Initiativen hinauslaufen, auf Orte, in denen kulturelle Selbsttätigkeit und Selbstständigkeit ermutigt würden, in denen sich die kulturelle Zivilgesellschaft zwischen Hobbychor, türkischem Quartierfestival, Hobbyfilmzyklus und Lese- oder Gamezirkel artikulieren und ausprobieren kann.
    Denkmalschutz: Verbindung von Erhalt und Nutzung
    Eine unbestrittene hoheitliche Domäne ist der Denkmalschutz, von Berlusconis Verirrungen einer Privatisierung des römischen Erbes abgesehen. Auch der Denkmalschutz ist in die Jahre gekommen. 1975 wurde noch »Eine Zukunft für unsere Vergangenheit« gefordert, und die mit Denkmalschutz betrauten Behörden wurden auf- und ausgebaut. 35 Jahre später werden in Deutschland landauf, landab die Denkmalschutzgesetze reduziert, die Auseinandersetzungen über Maß und Umfang von Denkmalschutz nehmen an Schärfe zu, die Behörden werden ausgedünnt. Umgekehrt ist er inhaltlich das Lieblingskind aller Politik. Hübsche Innenstädte machen sich immer gut, und Renovierungen bringen Geld fürs lokale Gewerbe. Beispielhaft geführt wurde diese Diskussion im Sommer 2011 im schweizerischen Parlament, als es die erste Kulturbotschaft des Landes verabschiedete. Die Regierung hatte in der Vorlage den Anteil des Denkmalschutzes halbiert. Die Lobby dagegen war stark.
    Die Aberkennung des UNESCO -Status für Dresden im Kontext der Elbquerung hat vor Augen geführt, welche Beziehung regionale und lokale Politik zur Idee des kollektiven Gedächtnisses unterhält, das seine Anschauung braucht wie jede andere individuelle oder kollektive Gedächtnisleistung. Es ging um eine regionale Infrastrukturentscheidung, der durch keinen nationalen kulturgesetzlichen Rahmen widersprochen werden konnte, da die Kulturhoheit der Länder zwar zu 16 Denkmalschutzgesetzen geführt hat, nicht aber zu einem diese 16 Gesetze verbindenden Gesetzesrahmen. Einen solchen bundesgesetzlichen Rahmen gibt es für alle möglichen anderen Bereiche – nicht für den Denkmalschutz. Er hätte im Zweifelsfall eine UNESCO -verträgliche Lösung mit der eigentlich einfachen Ableitung möglich gemacht, dass Bundesrecht Landesrecht brechen können soll. Und die Diskussion hätte mit der Einsicht enden können, dass Verkehrsführungen veränderbar sind, dass eine Anschauung jedoch zuweilen nicht ersetzbar ist.
    Der Denkmalschutz funktioniert bislang rein hoheitlich und produziert öffentliche Güter und Dienstleistungen. Das verbindet ihn mit Justiz oder Polizei und erklärt seine gegenwärtige Situation zum Teil. Zwar ist die Polizei unser Freund und Helfer, und wir sind im Zweifelsfall dankbar dafür, dass es die Justiz gibt. Doch geben beide zu Empathie wenig Anlass. Das ist auch nicht ihre Aufgabe. Beide sollen geräuschlos Sicherheit für Leib und Leben und Rechtssicherheit herstellen. Denkmalschutz jedoch hat mit Empathie zu tun. Ein Gebäude oder ein Platz ist einer Gruppe Menschen, aus religiösen oder nationalen oder dynastischen Gründen, etwas wert. So viel wert, dass man alles daransetzt, das Gebäude oder den Platz möglichst ewig zu erhalten. Und vielleicht sogar so viel wert, dass man Planungen und Kosten für diesen Erhalt zu einer Sache des Staates macht.
    Um diesen Erhalt allein geht es beim Denkmalschutz längst nicht mehr. Seit seinen gesetzlich-hoheitlichen Ursprüngen im 19. Jahrhundert zielt er auf die materielle, möglichst dauerhafte, staatlich abgesicherte Herstellung möglichst lückenloser Repräsentanz von Baugeschichte. Dieses Ziel zu verwirklichen ist schwer. Man kann sich mit guten Gründen fragen, ob es sinnvoll und der Aufwand dafür nicht überproportional groß ist. Baugeschichte als Idee materieller Anschauung ist tief im 19. Jahrhundert verwurzelt. Die archäologischen Denkmalpfleger sind etwas besser dran. Sie wollen keine durchgängige materielle Anschaulichkeit her-, sondern nur sicherstellen, dass eine Tiefbaumaßnahme nicht ein Steinzeitgrab oder ein Römerkastell zerstört. Alles, was nicht durch Tiefbau gestört wird, wird allenfalls »in situ« katalogisiert. Zwar freuen sich die Archäologen über ein erstklassig ausgegrabenes Hockergrab, aber sie zwingen sich nicht selbst, es
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