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Der Kulturinfarkt

Der Kulturinfarkt

Titel: Der Kulturinfarkt
Autoren: Stephan Pius u Opitz Armin u Knuesel Dieter u Klein Haselbach
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Musikgeschichte gegenüber die Aufführung von Barockmusik nur mit auf Streichinstrumente gespannten Schafdärmen gestatten.
    Die bisher ausschließlich hoheitlich arbeitenden Denkmalschutzbehörden üben den noch verbleibenden hoheitlichen Teil ihrer Tätigkeit an den genannten Schnittstellen bei Raum- und Bauplanungsfragen aus. In den bundesweit geltenden Rahmenbedingungen können regional- und länderspezifische Besonderheiten formuliert werden, die jedoch den Kern der bundesgesetzlichen Regelung nicht berühren dürfen. Mindestens zur Hälfte ist die Tätigkeit von Denkmalschutzbehörden nicht hoheitlich bestimmt, sondern sie dient der Beratung von Grundeigentümern und Investoren, wie Erhalt und Nutzung sinnvoll verbunden werden können. Für die Beratung kann Geld verlangt werden, sie kann auch von Subunternehmern erbracht werden.
    Der Begriff »Denkmalschutz« steht in der Mitte unseres Verständnisses von kulturellem Erbe. Wenn man die Wendung »etwas unter Denkmalschutz stellen« ins Englische überträgt, so redet man dort von »to classify something as a historical monument«. Ein historisches Monument oder auch »cultural heritage« im Allgemeinen haben als Begriffe eine etwas sachlichere Valenz als der des Denkmals.
    Der Begriff des »kulturellen Erbes« hätte im deutschen Sprachgebrauch eine Erweiterung nötig. Darunter nur denkmalgeschützte Bauten und archäologische Denkmale oder national und regional wertvolle Schriften zu verstehen greift zu kurz. »Cultural heritage« bei unseren Nachbarn umfasst mehr – und zielt immer auf die Sicherung des kollektiven Gedächtnisses und der Anschauung, die dieses Gedächtnis braucht. Dieser weiter gefasste Begriff des kulturellen Erbes, der Regionalkultur und Brauchtum in gleicher Weise wie die sogenannte Hochkultur einzuschließen hätte, sollte im Bildungssystem deutlich verankert sein. Denn jede Bildung benötigt Anschauung. Anschauung aber muss sinnlich sein. Ob man das mit Moorleichen oder hochmittelalterlicher Ritterepik, mit Römerhelmen oder Motetten, Kirchenfenstern, Schlössern oder Burgen, Gärten, Hochhäusern, der Dreigroschenoper oder Ausstellungen frühbürgerlicher Schlafzimmer ableitet und erläutert – es hat immer etwas mit dem gekonnten Erzählen von konkreten Geschichten zu tun. Solches Erzählen macht kulturelles Erbe. Das Bewahren ist kein Selbstzweck. Wenn die Menschen sich aber nichts mehr zu erzählen haben, dann haben Museen und Archive auch ausgedient.
    Ästhetische Bildung: Rehabilitation der Naturwissenschaften
    Auch wenn die Demokratisierung der Kultur auf halbem Wege stehen geblieben ist, eines hat sie erreicht: den Künstler zum Modell des mündigen Bürgers zu erheben. Diesem Modell gerecht zu werden und zugleich das Legitimationsdefizit der jüngeren Kulturpolitik zu beseitigen – das ist der doppelte Antrieb für den gegenwärtig immer lauteren Ruf nach verstärkter kultureller Bildung. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Hans aber muss Künstler werden.
    Und wenn er’s nicht lernt? Auch gut. Kunst, ästhetisches Erleben wie Schaffen, ist kein universeller Weg zum Heil dieser Gesellschaft. Zu behaupten, dass der soziale Wert von Kunst historisch sei, ist so wenig vermessen wie die Kunst in Schutz zu nehmen vor überzogenen Erwartungen und damit verbundenen Enttäuschungen. Man muss sie sogar in Schutz nehmen vor der im Kulturmilieu verbreiteten Ansicht, der Weg zum Beruf des Künstlers sei mit Selbstverwirklichungsdrang einfach zu schaffen und Kunst sei eine Bühne für extravagante Ideen. Oberflächlichkeit kann keine Kunst sein, kann kein tiefes Erleben schaffen. Die postmoderne Attitüde, dass Kunst häufig genug als bloßes Konzept daherkommt, schadet ihr vermutlich am meisten. Sie banalisiert das Phänomen Kunst. Kunst benötigt auch Schutz vor ihrer sozialpolitischen Instrumentalisierung. Schließlich benötigt auch Bildung Schutz vor ihrer zunehmenden Individualisierung, ja Privatisierung. Der junge Mensch lernt bekanntlich nicht mehr seine Rolle im sozialen Gefüge, sondern die Optimierung seines individuellen Potenzials im Hinblick auf den großen Konkurrenzkampf draußen. Bildung ist die erste Stufe von Karrieremanagement, solche Zweckoptimierung ist das Erbe von Bologna.
    Kulturelle Bildung mit der starken Betonung des Individuums liegt also voll im Trend. Gemeint ist dabei ausschließlich ästhetische Bildung, Bildung durch und zur Kunst: Singen, Musizieren, Tanzen, Schauspielen, Dichten. Es sind
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