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Der Kulturinfarkt

Der Kulturinfarkt

Titel: Der Kulturinfarkt
Autoren: Stephan Pius u Opitz Armin u Knuesel Dieter u Klein Haselbach
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Widerspruch widersprüchlich.
    In allen Politikfeldern beschäftigt Politik sich damit, die Zukunft zu gestalten, am besten sichtbar an der Energie oder an der Gesundheit. Allein in der Kultur geht es immer nur um Vergangenheit, um Strukturerhaltung und moralische Selbstverteidigung. Selbst ästhetische Innovation, Hätschelkind der Förderung, ist eine Keule von gestern. Dabei ändert sich nichts rascher als die Kunst. Die Globalisierung hat sie binnen 20 Jahren auf den Kopf gestellt. Hat die Politik darauf eine Antwort? Hat sie nicht. Hat der Kulturbetrieb darauf eine Antwort? Hat er nicht. Mehr Geld, so der Ruf.
    Wer Kulturbetrieb und Kulturpolitik kritisiert, ist nicht der Feind der Kunst. Im Gegenteil: Uns liegt daran, sie zu befreien – von den vermeintlichen Schützern, die sie umarmen bis zur Erstickung. Die Forderungen sind nicht neu, aber aktueller denn je: mehr Unternehmergeist, mehr Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen des Publikums, weniger Allmachtsphantasien. Und das Eingeständnis, dass die Welt an der Kunst nicht genesen wird. Sonst bräuchte es – paradoxerweise – womöglich keine Kunst mehr!
    Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel, Stephan Opitz

Die kulturelle Disposition: Geld ist gut, aber der Markt ist schlecht
    Politik für Glückspilze
    Kunst macht glücklich. Aus diesem Glauben entsteht Kulturpolitik. Sie, die Kunst, macht das unglückliche Individuum glücklich, das glückliche intelligent. Sie macht die Lehrer glücklich, weil sie fröhlicheren Unterricht verspricht und soziale Kompetenz steigert. Sie macht die Politiker glücklich, weil sie gefahrlos Gutes tun können, indem sie Kultur ermöglichen oder bewahren. Sie macht die Wirtschaftsstatistiker glücklich, weil sie Wachstum verspricht und zum Bruttosozialprodukt beiträgt. Sie macht die Touristiker glücklich, weil sie Menschen zum Reisen verführt oder Reisen einen zivilisatorischen Sinn verleiht und die Klimaerwärmung mit humanistischer Bildung aufwiegt. Und sie macht die Integrationspolitiker glücklich, weil sich dank Kultur jeder soziale Konflikt in Minne wandelt.
    Wie die Nukleartechnologie sich in den letzten 40 Jahren zum Inbegriff bösartiger Technologie entwickelt hat, ist es gelungen, Kunst und Kultur in derselben Zeit alle Attribute von Befreiung und Humanität zuzuordnen, obwohl sie Jahrhunderte im selben Maß als gefährlich und moralzersetzend gegolten hatte. Mit der Verbreitung des Wohlstands in Europa entziehen sich seine Grundlagen dem Blick, ins Zentrum rücken die Phänomene des sozialen Überbaus. Nukleartechnologie war ein Produkt naturwissenschaftlicher Forschung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie entstand aus dem Glauben, der Mensch könne die Urkräfte der Welt zähmen und gestalten. Es ist ihm nicht zweifelsfrei gelungen, also bietet sich die Atomkraft geradezu an als Überdruckventil für die Ängste der Gegenwart – für die Dämonisierung. Die Erfindung des Computers, die letzte große und für jeden greifbare Erneuerung, ist auch schon 40 Jahre her; seine Popularisierung geht übrigens einher mit der neuen Kulturpolitik, die ohne die Entmaterialisierung (Digitalisierung) zahlreicher Alltagsprozesse die Gesellschaft gar nie in diesem Maße durchdrungen hätte. Die Nobelpreise für Physik und Chemie beziehen sich auf immer abstraktere Leistungen. Wer aber will unter diesen Umständen noch Naturwissenschaften studieren? Wen reizt Forschung? Welcher Lohn erwartet jene, die die ausdauernde Arbeit im Ungewissen leisten, die so wenig Aufmerksamkeit erntet, obwohl nur sie es möglich macht, dass die Weltgestaltung heute als ästhetische Frage erscheint, die am solarenergiebetriebenen Computer entschieden werden kann? Der Staat ist nicht der einzige Treiber dieser Entwicklung hin zu den weichen Wissenschaften und zur Dominanz ästhetischer Fragen. Aber er ist ein wichtiger, weil er Entwicklungen offizialisiert, aus Trends Programme gestaltet. Ihm haben wir es zu verdanken, dass Kultur heute als Universalmedizin gilt, die abgerechnet wird über die Krankenkasse »öffentliche Förderung«.
    Förderung macht frei, der Markt versklavt
    Wenn Einrichtungen sich einmal auf der Couch öffentlicher Förderung niedergelassen haben, bleiben sie. Die Lieblingsvokabel der Kulturpolitiker und der kulturellen Verbandsvertreter ist »unverzichtbar«: Alles, was ist, ist unverzichtbar. Geändert werden soll nichts, auf jeden Fall nicht an den bestehenden Förderverträgen, und wenn doch, dann einzig in
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