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Der Kulturinfarkt

Der Kulturinfarkt

Titel: Der Kulturinfarkt
Autoren: Stephan Pius u Opitz Armin u Knuesel Dieter u Klein Haselbach
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Abstraktionen. Dort, wo Inhaber und Mitarbeiter von Betrieben an ihre Produkte und Prozesse glauben, wo Tradition, Werkstolz, Versunkenheit in die Sache oder Identifikation mit dem Produkt in »der Wirtschaft« eine Rolle spielen, wo ein Unternehmen auch eine soziale Struktur ist, motiviert nicht der Gewinn allein die Handlungen der Wirtschaftenden. Arbeiten, als Unternehmer wie als Arbeitnehmer, hat auch etwas mit Sinn zu tun. Umgekehrt gibt es in Kunst und Kultur Betriebe und Personen, die vor allem anderen vom Gewinnstreben motiviert sind. Spitzengagen zeugen nicht von künstlerischem Altruismus. Aber die grundsätzliche Unterscheidung zwischen gewinnorientiertem Betrieb und kulturellem Tendenzbetrieb markiert recht gut, wo »Kultur« ihre Sorgen mit »der Wirtschaft« hat: Sie lehnt sich gegen deren Gleichgültigkeit den Inhalten gegenüber auf.
    Es gibt noch einen anderen Begriff von Wirtschaft, der für Kultur relevant ist. Der liberale Ökonom Franz Oppenheimer schrieb: »Wirtschaften heißt: mit kostenden Dingen (oder Wertdingen) nach dem ökonomischen Prinzip verfahren.« Ökonomisches Prinzip heißt, »mit dem kleinsten möglichen Aufwand« den »größte(n) Erfolg der erstrebten Bedürfnissättigung« zu erzielen. Der Begriff »Wirtschaften« bezieht sich hier auf einen Modus menschlichen Handelns. Wirtschaften heißt, im Handeln der – für menschliche Gesellschaften grundlegenden – Bedingung der Knappheit von »Wertdingen« gerecht zu werden. Was nicht knapp ist, hat keinen Wert. Dieser Begriff des Wirtschaftens geht tiefer als die Unterscheidung von Wirtschaft und Kultur. Er betrifft, gleichgültig ob das Ziel im Gewinn oder in der Sache liegt, einen Modus menschlichen Handelns, der aus dem Umgang mit der Endlichkeit der Welt und ihrer Güter erwächst oder erwachsen sollte.
    Als Alltagserfahrung ist die Knappheit allen verfügbar. Auch in Kulturbetrieben ist das nicht ganz unbekannt. Immer fehlt es an Geld, an Mitarbeitern, an Dingen, um alles noch besser zu machen, trotz aller Kulturförderung. Für kulturelle Einrichtungen gilt überall, dass sie alle Mittel brauchen und verbrauchen, die ihnen zur Verfügung stehen. Und immer noch mehr brauchen könnten. Das ist ein sprechender Beleg für das handlungsleitende Wirken von Knappheit.
    Fassen wir die beiden Begriffe aus Sicht eines Wirtschaftsbetriebs zusammen. Ihm geht es darum, dass der Ertrag auf Dauer höher ist als der Aufwand. Hieraus entsteht der Gewinn. In der öffentlich finanzierten Kultur dagegen spielt nicht der Gewinn eine Rolle, sondern der Inhalt dessen, was im Prozess entsteht. Entstehen ökonomische Gewinne, ist das natürlich erfreulich und wird in Kauf genommen. Entstehen aber Verluste, muss dafür jemand anderes einstehen. Wo künstlerische Tätigkeit privat finanziert wird, können Verluste durch den Künstler selbst abgedeckt werden, der seine Kunst durch einen Brotberuf subventioniert. Die Subvention kann aus dem Umfeld des Künstlers kommen, von der Familie, aus sozialen Netzwerken. Oder die öffentlichen Hände stehen für Verluste ein, finanzieren Projekte oder Institutionen. Verlustbringende Kulturbetriebe leben vom Altruismus anderer, ein durchaus vernünftiges Prinzip, das in vielen Bereichen der Gesellschaft angewendet wird. Wirtschaften muss aber auch die Kultur: Öffentliche Taschen sind nicht unendlich tief, der Altruismus der Individuen ist begrenzt.
    Man könnte nun aus einem Theater einwenden, dass es Ziel einer Inszenierung sein mag, Reichtum und Opulenz darzustellen, und dass es dann doch nicht möglich sei, sich am Modus der Knappheit zu orientieren. Es geht aber nur darum, jene Opulenz mit den geringstmöglichen Mitteln darzustellen, wie das Globe-Theater in London. Sein Erfolg liegt in der Simplizität der Inszenierung. Die Dinge sind, was sie scheinen: Stellvertreter, Symbole, sie simulieren nicht, sie verweisen. Doch heutiges Theater, heutige Installationskunst, der Film wollen den Erlebnisraum als realen inszenieren. Opulenz darzustellen verlangt, verschwenderisch zu handeln. Dabei gestattet exakt die kunstvolle Differenz zwischen tatsächlichen Verhältnissen und ihrer Abbildung, dass dem nicht so sein muss. Wenn ein goldenes Kalb aus Gold gefertigt sein muss, so ist dies selbst Teil der künstlerischen Botschaft. Dass die zeitgenössische Kunst versucht, die Differenz aufzuheben, ändert daran nichts. Der Versuch kann nicht gelingen, weil für Kunst konstitutiv bleibt, dass sie aus dem Alltag
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