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Der Kulturinfarkt

Der Kulturinfarkt

Titel: Der Kulturinfarkt
Autoren: Stephan Pius u Opitz Armin u Knuesel Dieter u Klein Haselbach
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bekommen oder die schon zugesagte Förderung langfristig zu sichern. Dem Landesverband der Volkshochschulen in Schleswig-Holstein gehört das Verdienst, die Dinge auf den Punkt gebracht zu haben. Am 7. Juli 2011 meldete er stolz, es sei nun erwiesen, dass die Volkshochschulen ein starker Wirtschaftsfaktor in Schleswig-Holstein seien: »Jeder Euro, der an kommunalen Investitionen in die Volkshochschulen des Landes fließt, ist 5,70 Euro für die lokale Wirtschaft wert. Darüber hinaus generieren Land und Bund erhebliche Umsatzsteuereinnahmen.« Das habe eine Untersuchung ergeben, die der Karlsruher Ökonom Peter Leiberich im Auftrag des Landesverbandes erstellt hat. Die Studie gibt es auf der Seite des Verbandes im Netz.
    An einem Rechenbeispiel sei verdeutlicht, welche Brisanz in der Sache liegt. Sagen wir, die Kommunen in Schleswig-Holstein nutzen die Erkenntnis, »investieren« 2013 100 Millionen Euro in die Volkshochschulen. 570 Millionen müssten dann in die lokale Wirtschaft fließen. Grob geschätzt, sind darin zehn Prozent Umsatzsteuer enthalten, sonstige Steuern und Abgaben fließen noch einmal in derselben Höhe an den Staat zurück. Obendrauf gibt es Sekundär- und Tertiäreffekte, die diese Summen erhöhen. So fließen in die Staatskassen (Bund, Länder und Kommunen) mehr als die ursprünglich eingesetzten 100 Millionen. Es müssten sich Bund, das Land Schleswig-Holstein und die Kommunen nur darauf einigen, dass das Geld tatsächlich an die Kommunen zurückfließt. Es wären dann die Volkshochschulen für die Kommunen recht profitabel. Vielleicht könnte man das Schwungrad vergrößern, den Volkshochschulen 2014 eine »Investition« von einer Milliarde Euro erlauben. Vielleicht könnte dann der Rest der Kultureinrichtungen Schleswig-Holsteins aus dieser Quelle mitfinanziert werden? Falls das überhaupt nötig ist: Denn es ist ja möglich, dass der Ökonom Professor Leiberich auch in den »Investitionen« hier ähnlich profitable Geldquellen ansticht? Wenn man ein wenig weiterdenkt, ist sicherlich vorstellbar, dass allein aus der Kultur die kommunalen und die Landesfinanzen Schleswig-Holsteins saniert werden. Dann noch Sport und Soziales! Vielleicht ein paar Steuersenkungen. Weiter gedacht ist es nicht abwegig, aus der Kultur auch die Probleme des Bundeshaushalts anzugehen. Vielleicht öffnen sich auch im Euroraum insgesamt neue Perspektiven? Vielleicht sollte die European Financial Stability Facility ganz auf Kultur setzen?
    Kunst ist eine Quelle der Inspiration. Inspiriert Kultur auch fiskalische Lösungen? Kommt aus den Volkshochschulen die Rettung der Staatsfinanzen? Betrachten wir das Argument genauer.
    Zunächst: Es sind nicht Investitionen, von denen beim Verband die Rede ist, gemeint sind vielmehr die kommunalen Zuschüsse an die Volkshochschulen. Professor Leiberich muss gegen seine Auftraggeber in Schutz genommen werden. Er beschreibt seine Ergebnisse vorsichtiger als der Verband: Die »Mehrzahl der Befragten« nutze »den vhs-Besuch für Aktivitäten, für die Ausgaben getätigt werden«. Also: Kulturell Bildungsbeflissener geht einkaufen und dann zur VHS . Oder umgekehrt. In der Verbandserklärung werden diese Ausgaben dem »vhs-Besuch« als dessen wirtschaftliche Wirkung zugeschlagen. Könnte aber auch sein, dass Einkaufen, Restaurantbesuch oder kulturelle Aktivität nicht wegen des Besuchs der Volkshochschule stattfanden, sondern weil der Kühlschrank oder der Magen leer waren oder weil trotz Volkshochschule noch Platz für kulturelle Höhepunkte war. Schade eigentlich! Als durchschlagendes Argument zur Kulturfinanzierung wäre die Version des Verbands weitaus eleganter.
    Ein wenig unbeholfen bemühte der schleswig-holsteinische Verband hier ein Argument, das in den vergangenen Jahrzehnten auch woanders populär war und manchmal sogar überzeugte. Kultur, auch die öffentlich finanzierte, zeitigt wirtschaftliche Effekte, selbst wo sie nicht rentabel ist. Diese können begründen helfen, warum eine Kultureinrichtung öffentliche Förderung verdient. Auf diesem Feld allerdings geht es nicht mehr um das Gute, um die Entwicklung von Menschen und gesellschaftlichem Zusammenleben, sondern um genau das, als dessen Gegenbild sich Kunst und Kultur so gern sehen: Um Rentabilität und um »return on investment«.
    Seit Anfang der achtziger Jahre wird seitens der Kulturpolitik immer wieder versucht, wirtschaftliche Argumente zu finden, die öffentliche Förderung von Kultur in ein positives Licht setzen.
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