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Der Kulturinfarkt

Der Kulturinfarkt

Titel: Der Kulturinfarkt
Autoren: Stephan Pius u Opitz Armin u Knuesel Dieter u Klein Haselbach
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Belletristik!
    Meritorische staatliche Eingriffe in einen Markt müssen politisch begründet werden. Mit welcher moralischen Autorität werden einige Güter für wertvoller erklärt als andere? Eine bestimmte kulturelle Äußerung meritorisch zu privilegieren entwertet andere kulturelle Ausdrucksformen. Es festigen sich Machtstrukturen. Entspricht das der Freiheitsvorstellung unserer Gesellschaft?
    Der staatliche Eingriff bringt weitere Probleme mit sich. Da ist das Problem des Maßes. Im Guten selbst liegt keine Grenze. Kultur ist gut. Mehr Kultur ist besser. Noch mehr Kultur ist noch besser, oder doch mindestens auch gut. Das System der meritorischen Güter verselbstständigt sich leicht. Es werden dann immer mehr meritorische Güter und Leistungen produziert. Doch wie viele Theater braucht das Land? Wie viele Bibliotheken? Wie viele Museen? Schwieriger noch: Die Auswahl zwischen verschiedenen meritorischen Bereichen ist problematisch. Brauchen wir als Gemeinwesen eher mehr Kinderkrippen, mehr Eisenbahn oder mehr Kunstmuseen? Brauchen wir in der Kultur selbst mehr kulturelle Bildung, mehr Förderung von Stadtteilkultur oder mehr Konzerte? Mehr Jazz oder mehr Simon Rattle, mehr Experimentalvideo oder mehr Gerhard Richter?
    Fest steht, dass die Kulturförderung, wo sie Güter und Dienstleistungen als meritorische nobilitiert, nicht nur Gutes tut, sondern sich dabei in Märkten bewegt und diese Märkte beeinflusst. Die Fördercouch steht nicht im Wohnzimmer vor dem Fernseher, sondern im öffentlichen Raum. Die Geförderten können es sich wohlgehen lassen, obwohl sie ständig klagen, die Couch sei unbequem. Wo andere in diesen Märkten agieren möchten, müssen sie gegen geförderte Konkurrenten antreten, die unter weitaus günstigeren wirtschaftlichen Bedingungen agieren können. Geld gibt es für die Geförderten ohnehin, deswegen müssen sie sich – wie gesehen – nicht so stark an den Kunden orientieren. Aber sie können andere Preise machen. Die Privaten müssen so ein kundenfreundliches Programm anbieten, sich im Preis aber an den Geförderten orientieren. Dass Hochkultur staatlich subventioniert angeboten wird, verdrängt sie aus den Programmen der privaten Anbieter, weil Letztere mit den niedrigen Preisen öffentlicher Kultureinrichtungen nicht mithalten können. So verschärft sich die Trennung zwischen E und U, obwohl alle darauf schwören, sie sei längst überwunden. Die Abkürzungen beschrieben mal Ansprüche, heute stehen sie für zwei unterschiedliche Wirtschaftsmodelle.
    Ein Beispiel für die Spannung zwischen den beiden Modellen gibt der Musikunterricht in vielen Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Auf dem Markt bewegen sich private Anbieter und öffentliche Musikschulen. Die öffentlichen Schulen bekommen einen großen Teil ihrer Kosten erstattet. Für privaten Musikunterricht gilt fast überall der Preis, den die öffentlichen Musikschulen von ihren Schülern verlangen, als Obergrenze. Die privaten erhalten keine öffentlichen Zuschüsse, müssen aber denselben Preisrahmen beachten, weil sie sonst ihre Leistungen nur schwer verkaufen. Es muss an dieser Stelle nicht diskutiert werden, wie sich die Qualität des subventionierten öffentlichen Musikunterrichts zu der des privaten Unterrichts verhält. Zu demselben Ergebnis käme man beim Vergleich öffentlich subventionierter Musikveranstalter mit privat veranstaltenden Musikagenturen, bei der Konfrontation von öffentlichen Theatern mit dem Markt privater Theater oder von Musicalhäusern, dies vor allem, wenn die öffentlichen zur Auslastungserhöhung die erfolgreichen Formate der Privaten kopieren. Und die Liste ließe sich leicht verlängern. Es sollte deutlich geworden sein, wie öffentliche, meritorische Förderung die Märkte prägt, in die sie eingreift.
    Das kann eine Gesellschaft alles so wollen. Aber sie sollte sich sorgfältiger klarmachen, was sie tut und wie die eingerichteten Systeme wirken. Wo diese Diskussion nicht geführt wird, stellt dies eine Einladung an die Nutznießer des Fördersystems dar, jede Kritik mit einer unwirschen Geste vom Couchtisch zu fegen. Kultur ist eben nicht Wirtschaft. Oder doch?
    Die wundersame Selbstfinanzierung der Kultur
    Bei aller Skepsis gegenüber der Wirtschaft, fremd ist es der Kulturpolitik nicht, Kunst und Kultur als einen Wirtschaftsfaktor zu sehen. Dies wird immer dann getan, wenn eine Chance besteht, mit solchen Argumenten mehr öffentliches Geld für die eigene Sache zu
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