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Der Kulturinfarkt

Der Kulturinfarkt

Titel: Der Kulturinfarkt
Autoren: Stephan Pius u Opitz Armin u Knuesel Dieter u Klein Haselbach
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vom Feuilleton, aber vom Publikum und von der Kulturpolitik: Wer besucht das reichhaltige Kulturangebot? Wer ist bereit, es zu finanzieren? Antworten darauf müssen von den Geldempfängern nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern vor allem auch deshalb gegeben werden, weil jenes »Kulturbürgertum« schrumpft, in dessen Selbstverständnis Kunst und Kultur sowie ihre öffentliche Unterstützung lange außer Frage standen.
    In Zukunft gehört die Frage nach den Nutzern von Kunst und Kultur in den Mittelpunkt. Das wäre eine konsequente Orientierung an Besucherin und Besucher. Peter Drucker definiert den tatsächlichen »Zweck« eines Unternehmens nicht im Gewinn, sondern darin, Kunden zu finden, denn das ist die Voraussetzung dafür, dass ein Betrieb überhaupt Gewinn machen kann. Das muss auch für den öffentlichen Kulturbetrieb gelten. Gibt es zu wenige Nutzer, die seine Leistungen und Angebote in Anspruch nehmen, wird der viel beschworene kulturpolitische Auftrag sinnlos. Es wäre ein Auftrag, der seine Adressaten nicht findet. Es muss Menschen geben, die ins Theater, ins Museum, ins Konzert gehen, die die Angebote der Musikschule nutzen, die Bücher in der Stadtbibliothek ausleihen. Das entwertet die Aufgabe der künstlerischen Leitung nicht, im Gegenteil: Ein kluges Programm entwickelt sich an der Schnittstelle zwischen Nachfrage und künstlerischer Ambition. Doch je mehr Förderung, umso geringer das Gewicht der Nachfrage. Die Erwartungen an den Zulauf werden mit jeder neuen Direktion weiter heruntergeschraubt.
    Folgt man der Rezeptionsästhetik, so vollendet sich jedes künstlerische Werk aufgrund seiner »fundamentalen Ambiguität« überhaupt erst in der Rezeption durch den jeweiligen Betrachter. In diesem Sinne produziere jeder Künstler eine in sich geschlossene Form und möchte, dass diese Form, so wie er sie hervorgebracht hat, verstanden und genossen werde; andererseits bringe jeder Konsument bei der Reaktion auf das Gewebe der Reize und dem Verstehen ihrer Beziehungen eine konkrete existenzielle Situation mit, eine bestimmte Bildung, Geschmacksrichtungen, Neigungen, persönliche Vorurteile, dergestalt, dass das Verstehen der ursprünglichen Form gemäß einer bestimmten individuellen Perspektive erfolgt. Daher ist Rezeption nicht nur Interpretation, sondern auch Realisation, da jedes Mal das Werk in einer neuen Perspektive neu auflebt. Erst durch Rezipienten vollendet sich also das Werk. Sich an Besuchern zu orientieren, um einen Markt zu kämpfen bedeutet, dass die jeweilige Kultureinrichtung tatsächlich alle Anstrengungen unternimmt, die Bedürfnisse des Publikums in ihre künstlerisch-ästhetische Produktion einzubauen. Das ist weit mehr, als was heute unter Kulturvermittlung beschworen wird. Pädagogisch ausgerichtete Kulturvermittlung verfestigt erst recht das Prinzip, dass nur der Anbieter recht habe und das Publikum ihm nur aus Feigheit oder Bequemlichkeit den Rücken kehre. Sie setzt – ganz freundlich – das Nicht-Publikum ins Unrecht.
    Kunst versus Wirtschaft
    Kunst und Kultur nur als Gegensphäre zum Markt und zur Welt der Wirtschaft zu betrachten heißt, die schöpferischen Effekte des Marktes zu verkennen. Das Verhältnis von Kunst und Wirtschaft ist komplexer als die bloße Opposition »hier hehre Kunst, dort böse Wirtschaft«.
    Seit Beginn des 20. Jahrhunderts, intensiv seit den neunziger Jahren, wird das Verhältnis zwischen Kultur und Wirtschaft diskutiert. In der Frage ist schon entschieden, dass nur in einer Richtung gesucht wird. Um Dinge in ein Verhältnis zu setzen, müssen sie unterschiedlich sein. Das Verhältnis von Kultur und Wirtschaft wäre eines zwischen zwei unterschiedlichen Gesamtheiten. Als ob Kultur nicht in Betrieben oder Einrichtungen stattfände, die wirtschaften. Und als ob Wirtschaft nicht in einem kulturellen Zusammenhang stattfände und vermutlich mehr kulturelle Substanz bewegt, als wir uns vorstellen können. Das Wort »Kulturwirtschaft« hat die Diskussion weiter verkompliziert.
    Wo Kulturpolitik sich im Verhältnis zur »Wirtschaft« programmatisch gibt, geht es heute meist konservativ zu. Kultur wird als eine bewahrende Kraft gegen die ökonomistische Zerstörung der Lebenswelt gepriesen, sie sei ein Gegenkonzept zu Globalisierung und alles andere Böse, was uns die Wirtschaft beschert. Kultur sei, was wir sind; Wirtschaft, was wir nicht werden möchten. Kein Wunder, dass Kultur mit Vorliebe in alte Industriehallen zieht und die Befreiung von der
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