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Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)

Titel: Die drei Leben der Tomomi Ishikawa (German Edition)
Autoren: Benjamin Constable
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E INE E INFÜHRUNG IN DAS ALLES
    »Ich würde gern ein Buch schreiben, in dem du und ich die Hauptfiguren sind«, sagte ich zu Tomomi Ishikawa und schob gedankenverloren die Sachen auf dem Tisch zurecht.
    »Oh toll«, erwiderte sie und fing an zu husten. »Ich könnte schwindsüchtig sein. Und wir könnten nach Italien ziehen und du würdest deine Abende Absinth trinkend mit Frauen zweifelhaften Rufs verbringen und schrecklich kitschige Liebesgedichte schreiben, die du mir an meinem Totenbett vorlesen würdest, und ich würde sagen, dass die Anmut deiner Verse mich dahinrafft.«
    Ich hörte auf zu lachen. »So hatte ich mir das eigentlich nicht vorgestellt.«
    »Nein?« Sie klang überrascht. »Wieso, woran hattest du denn gedacht?«
    »An eine Geschichte über zwei Leute, die sich hin und wieder zum Plaudern treffen.«
    »Ah, okay, gut«, sagte Tomomi Ishikawa. »Und was ist der Witz bei der Sache?«
    »Es gibt keinen Witz. Es gibt keine Romantik, keine Abenteuer, keine …«
    »Warte mal, warte mal, das kann doch nicht dein Ernst sein. Das wäre ja total langweilig. In so einem Buch muss auf jeden Fall ein bisschen Niedertracht vorkommen oder zumindest ein gestohlenes Gemälde oder ein sprechender Hund (oder Affe).«
    »Ach so.« Ich hatte erwartet, dass sie von meiner Idee begeistert wäre. »Na ja, vielleicht könnte man ja irgendein Rätsel einbauen. Eine Mordserie, die wir lösen müssen, oder so was.«
    »Vielleicht«, sagte Tomomi Ishikawa, »aber wer sollte denn der Täter sein?«
    »Du!« Ich grinste.
    »Ich? Verbindlichsten Dank, Ben Constable. Dann lege ich mir aber auch einen echten Gangsterbrautnamen zu, Mimsie oder so, und das Buch könnte dann Mimsie, die Mörder-Mieze heißen!«
    »Was? Autsch!« Jetzt lachte ich. »Nein. Ich werde Ben Constable heißen und du Tomomi Ishikawa.«
    »Aber das sind doch unsere echten Namen.«
    »Darum geht’s ja.«
    »Oh, ach so. Aber du könntest mich einfach weiter Butterfly nennen, das klingt nicht so förmlich.«
    »Ein Spitzname wäre okay«, versicherte ich ihr. »Und der verworrene Plot würde den Leser in die Straßen von Paris entführen und dann nach New York.«
    Sie beugte sich über den Tisch. »Und möglicherweise endet Ben Constable als das letzte Mordopfer?«
    Ich lehnte mich ihr entgegen. »Das hättest du wohl gern.«
    »Willst du dir denn gar nicht helfen lassen?«
    »Na ja …«
    »Meinst du …«, wir hielten beide inne, um den anderen weiterreden zu lassen, doch schließlich ergriff Tomomi Ishikawa das Wort. »Meinst du, du könntest mir vielleicht den Galgen ersparen? Das ist immer so ein jämmerliches Ende nach einem ruhmreichen Verbrecherleben.«
    »Ein Galgen kommt überhaupt nicht vor«, entgegnete ich. »Vielleicht auch noch nicht mal ein Mord. Ich glaube, du hast ein ganz anderes Buch im Kopf als ich, Tomomi Ishikawa. Ich will über eine ungewöhnliche Freundschaft schreiben und das Buch nicht mit irgendwelchen abgehobenen Ideen und hanebüchenen Wendungen verderben.«
    »Aber du hast doch gesagt …«
    »Es geht um so etwas wie unser Gespräch jetzt gerade.«
    »Also machen sie nichts als plaudern und trinken und lachen bis spät in die Nacht.«
    »Genau«, sagte ich. »Unsere Realität ist genauso packend wie jeder Roman.«
    »Natürlich ist sie das.« Sie lächelte. »Aber könnte die fiktionale Tomomi Ishikawa auf dem Heimweg nicht wenigstens ein oder zwei Frauen aus der Bar verfolgen«, sie warf einen kurzen Blick zu den Leuten am Nebentisch und senkte dann die Stimme, »sie nacheinander ermorden und die nackten Leichen mit ihren herausgerissenen Eingeweiden dekorieren?«
    »Vielleicht solltest du lieber dein eigenes Buch schreiben.«
    Sie dachte einen Moment darüber nach. »Ja. Vielleicht sollte ich das.«

TEIL 1
    15. M ÄRZ BIS 17. A UGUST 2007

1

    E IN UNERWARTETER B RIEF VON B UTTERFLY, DER ALLES VERÄNDERTE
    Paris, 15. März 2007
    Lieber Ben Constable,
    wahrscheinlich wunderst du dich, warum ich dir einen Brief schreibe und keine SMS oder E-Mail; warum ich nicht einfach fröhlich bei dir durchgeklingelt oder darauf gewartet habe, dass wir mal wieder an einem Tisch in der Ecke irgendeines trubeligen Cafés sitzen, seitwärts auf unseren Stühlen, um einander nicht unseren Rauch ins Gesicht zu pusten, unsere Mäntel, schwach nach Regen duftend, auf dem Garderobenständer an der Tür, bis wir uns schließlich, während die Tropfen wässrige Schlieren auf die Fensterscheiben zeichnen, doch einander zuwenden, vielleicht weil unsere
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