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Der Kulturinfarkt

Der Kulturinfarkt

Titel: Der Kulturinfarkt
Autoren: Stephan Pius u Opitz Armin u Knuesel Dieter u Klein Haselbach
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Richtung Wachstum. So wurde vorgeschlagen, die öffentlichen Theater in Deutschland insgesamt unter Schutz zu stellen, zum UNESCO -Weltkulturerbe zu erklären. Der Vorschlag wurde noch nicht einmal als lächerlich empfunden. In einer westdeutschen Großstadt, in der auch die Kultur einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten sollte, war der Tenor in Kulturverwaltung und Stadtrat, dass eigentlich alles gut sei, so wie es ist, und dass sich an der Kultur in der Stadt nichts ändern müsse. Auf der Fördercouch ist noch Platz für weitere Patienten, dazusetzen kann man sich gern, wenn man ein genügend großes Glücksversprechen mitbringt.
    Kultur war auch schon beweglicher. Sie war dies immer dann, wenn öffentliche Kultur sich auf dem Markt an anderen Kulturangeboten messen lassen musste. Wenn sie sich bemühen musste, ihr Publikum zu finden. Solche Beweglichkeit ist auf der Couch der geförderten Kultur nicht notwendig. Die Förderung schirmt die Geförderten vom Markt ab. Wenn man den Gedanken anders formuliert, wirkt er wie ein Programmsatz von Kulturpolitik heute. Wirklich frei, frei vom Zwang, auf den Geschmack und die Wünsche des Publikums einzugehen, ist Kultur erst, wenn sie staatlich gefördert wird. Der Programmsatz heißt dann: »Förderung befreit die Kunst, der Markt versklavt sie.«
    Das ist gemütlich. Wenn auch vielleicht nicht wirklich gesund. Kulturpolitik fördert Bewegungsmangel bei den Geförderten. Sie setzt keine Anreize, dass Kulturbetriebe sich an der frischen Luft betätigen und sich dem Publikum und seinen Interessen aussetzen. Vielmehr wird Kultur durch Kulturpolitik vor Märkten geschützt und dem Wind, der ihr dort um die Ohren blasen kann.
    Man kann das auch abstrakter und positiv formulieren. Kunst und Kultur sehen sich als Gegenprinzip zum Markt. Der Markt fordert Verwertung und Gewinnorientierung, die Kunst aber steht außerhalb jedes Verwertungszusammenhangs und stellt reine Inhalte her. Sie operiert also jenseits wirtschaftlicher Logik. Deswegen bietet Kunst Lösungen für alle gesellschaftlichen Probleme. Aus ihr wachsen Alternativen zur herrschenden Gesellschaft. Ohne Kunst schließt sich die Marktwirtschaft zum alternativlosen Verhängniszusammenhang, in dem die Nachfrage der Massen das Neue erdrückt.
    Kulturförderung schafft also ein Gegengewicht zum reinen Verwertungszusammenhang. Allein, in der Kombination mit der in die Verfassungen eingeschriebenen Freiheit der Kunst hat sich daraus ein Gegensystem zum Markt entwickelt. Das geht so weit, dass der Staat die Freiheit des Künstlers heutzutage als Freiheit von der Nachfrage auslegt und Kultur im denkbar breitesten Sinne unter finanziellen Schutz stellt. Wirtschaft erscheint plötzlich als System von Zwängen, das den Kreativen keine Freiheit lässt. Der Staat stellt dagegen sicher, dass weder die Kunst kompromittiert noch die Massen durch den Kommerz manipuliert werden. Obwohl es also bereits eine Kultur für alle gibt, nämlich jene, die sich ohne Beihilfen auf dem Markt behauptet, entwickelt sich im Schutz des Staates eine andere »Kultur für alle«. Während Massenkultur mit »Profit für wenige« gleichgesetzt wird, sozialisiert die neue Kultur für alle die Verluste.
    Sicher, das ist überspitzt. Aber doch ist hier das Verhältnis von Kunst und Markt beschrieben, wie es sich in den Köpfen vieler kulturpolitischer Protagonisten darstellt. Hinter der derzeitigen Kulturpolitik steht das Bild, dass (gute, wahre, schöne) Kultur auf einem Markt aus eigener Kraft keinesfalls existieren könne. Dass Kultur nicht sicher ist, wenn nicht eine parlamentarische Mehrheit sich darüber einig ist, dass wir in einer Kulturnation leben und leben wollen. Und viel Geld für Kultur bewilligt. Kultur kann nur leben, wo sie dauerhaft von einem wohlmeinenden Staat geschützt wird. Märkte sind ihr Tod. Von den Wächtern der Kultur ist dauernde Anstrengung gefordert, um sie vor Veränderungen zu schützen. – Also: Nur auf der Fördercouch ist Kultur sicher und segensreich.
    Öffentliche Kultur und ihre Kundschaft
    Kulturpolitik, die Kultur fördert, um sie vor dem Urteil der Konsumenten zu bewahren, hat kein hohes Bild von der Kundschaft. Das liegt nicht nur an ihrer Marktskepsis: Die Produktion von Kunst und Kultur steckt in einem Dilemma, das Walter Benjamin in seinem Kunstwerk-Aufsatz auf den Punkt gebracht hat: »Es ist von jeher eine der wichtigsten Aufgaben der Kunst gewesen, eine Nachfrage zu erzeugen, für deren volle
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