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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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es zu Hunderten. Sie dagegen zeigen den Schmutz des Krieges. Das Niedere. Bei Ihnen sieht unser Sieg schrecklich aus ... Was wollen Sie damit erreichen?«
    »Die Wahrheit.«
    »Sie denken, Wahrheit, das ist, wie es im Leben ist. Das, was auf der Straße liegt. Unter den Füßen. Für Sie ist sie so niedrig. Irdisch. Nein – Wahrheit, das ist das, wovon wir träumen. Wie wir sein wollen!«
    »Auf dem Vormarsch ... Die ersten deutschen Dörfer ... Wir waren jung. Stark. Vier Jahre ohne Frauen. In den Kellern Wein, Essen. Wir fingen deutsche Mädchen ein und ... Zehn Mann vergewaltigten eine ... Es gab nicht genug Frauen, die Bevölkerung lief vor der Sowjetarmee davon. Wir griffen uns ganz junge. Kinder ... Zwölf, dreizehn Jahre alt ... Wenn eine weinte, dann schlugen wir sie, stopften ihr was in den Mund. Das tat ihr weh, aber wir lachten. Heute kann ich nicht mehr verstehen, wie ich bei so etwas mitmachen konnte ... Ein Junge aus einer kultivierten Familie ... Aber das war ich ...
    Das Einzige, wovor wir Angst hatten, war, dass unsere Mädchen davon erfahren könnten. Unsere Krankenschwestern. Vor ihnen schämten wir uns ...«
    »Wir waren umzingelt. Wir irrten durch Wälder und Sümpfe. Aßen Blätter und Baumrinde. Irgendwelche Wurzeln. Wir waren zu fünft, einer davon noch ein halbes Kind. Gerade erst zur Armee einberufen. Eines Nachts flüsterte mein Nachbar mir zu: ›Der Junge ist kaum noch lebendig. Der stirbt sowieso. Verstehst du ...?‹ – ›Wovon redest du?‹ – ›Mir hat mal ein Sträfling erzählt, wie sie aus dem Lager abgehauen sind. Durch den sibirischen Wald. Sie haben extra einen Jungen mitgenommen ...Menschenfleisch ist essbar ... Das hat sie gerettet ...‹
    Ich hatte keine Kraft, ihn zu schlagen. Am nächsten Tag trafen wir auf Partisanen ...«
    »Die Partisanen kamen am Tag auf Pferden ins Dorf. Sie holten den Dorfältesten und seinen Sohn aus dem Haus. Sie schlugen sie mit Eisenstangen auf den Kopf, bis sie umfielen. Dann prügelten sie sie tot. Ich saß am Fenster und sah das alles. Unter den Partisanen war mein älterer Bruder ... Als er in unser Haus kam und mich umarmen wollte – ›Schwesterchen!‹ –, da habe ich geschrien. ›Komm nicht näher! Komm nicht näher! Du bist ein Mörder!‹ Dann bin ich verstummt. Ich habe einen ganzen Monat nicht gesprochen.
    Mein Bruder ist im Krieg gefallen. Was, wenn er am Leben geblieben wäre? Nach Hause zurückgekommen ...«
    »Am Morgen hatte ein Strafkommando unser Dorf niedergebrannt. Retten konnte sich nur, wer weglief. Wir flohen ohne alles, mit leeren Händen, nicht einmal Brot nahmen wir mit. Keine Eier, keinen Speck. In der Nacht schlug Tante Nastja, unsere Nachbarin, ihr kleines Mädchen, weil es die ganze Zeit weinte. Tante Nastja hatte ihre fünf Kinder bei sich. Juletschka, meine Freundin, war die Schwächste. Sie war immer krank ... Und auch die vier Jungen, alle ganz klein, bettelten um Essen. Da drehte Tante Nastja durch. Die ganze Nacht hörten wir, wie ein Mädchen, meine Freundin Juletschka, bat: ›Mama, ertränk mich nicht. Ich tu’s nicht wieder ... Ich bettle nicht mehr um Essen ...‹
    Am Morgen war Juletschka nicht mehr da ... Niemand hat sie mehr gesehen ...
    Tante Nastja fanden wir, als wir ins Dorf zurückkehrten oder an den Ort, wo das Dorf gewesen war, es war völlig niedergebrannt, Tante Nastja fanden wir am Abend im Garten ... Sie hatte sich am verkohlten Apfelbaum aufgehängt ... Die Kinder standen um sie herum und bettelten um Essen ...«
    Aus dem Gespräch mit dem Zensor:
    »Das ist Lüge! Sie verleumden unsere Soldaten, die halb Eur opa befreit haben. Und unsere Partisanen. Unser Volk. Wir brauchen Ihre kleine Geschichte nicht, wir brauchen die große Geschichte. Die Geschichte des Sieges. Sie lieben niemanden! Sie lieben unsere großen Ideen nicht. Die Ideen von Marx und Engels.«
    »Stimmt, ich liebe keine großen Ideen, ich liebe den kleinen Menschen. Und außerdem liebe ich das Leben ...«

Was ich selbst gestrichen hatte
    »Wir waren umzingelt ... Politchef Lunin war bei uns ... Er verlas einen Befehl, in dem es hieß, sowjetische Soldaten gingen nicht in Gefangenschaft. Bei uns, so Genosse Stalin, gibt es keine Gefangenen, nur Verräter. Alle zückten ihre Pistole ... Der Politchef sagte: ›Nein, nicht. Lebt weiter, Jungs, ihr seid noch jung.‹ Er selbst hat sich erschossen.
    Und als wir zurückkamen ... Wir waren schon auf dem Vormarsch ... Ich erinnere mich an einen kleinen Jungen. Er kam aus
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