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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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Morgen überlebten nur wenige ... Vielleicht sieben, und wir waren fünfzig gewesen, wenn nicht mehr. Ich denke voller Dankbarkeit an unsere Mädchen ... Keine von ihnen habe ich am Morgen lebend angetroffen. Ich habe sie nie wiedergesehen ...«
    Aus dem Gespräch mit dem Zensor:
    »Wer wird nach solchen Büchern in den Kampf ziehen? Mit Ihrem primitiven Naturalismus erniedrigen Sie die Frau. Die Heldin. Entthronen sie. Machen sie zur gewöhnlichen Frau. Zum Weibchen. Doch diese Frauen sind Heilige.«
    »Unser Heldentum ist steril, es ignoriert die Biologie und die Physiologie. So ist es unglaubwürdig. Denn nicht nur der Geist war Prüfungen ausgesetzt, sondern auch der Leib. Die materielle Hülle.«
    »Woher haben Sie solche Gedanken? Das sind fremde Gedanken. Nicht sowjetisch. Sie verhöhnen Menschen, die in Brudergräbern liegen. Sie haben zu viel Remarque gelesen. Remarquismus wird bei uns nicht geduldet. Die sowjetische Frau ist kein Tier ...«
    »Irgendjemand hatte uns verraten ... Die Deutschen hatten den Standort unserer Partisanengruppe erfahren. Sie umstellten den Wald und riegelten alle Zugänge ab. Wir versteckten uns in den Sümpfen, die Sümpfe waren unsere Rettung, dahin kamen die Strafkommandos nicht. Der Morast verschlang Technik und Menschen. Tagelang, wochenlang standen wir bis zum Hals im Wasser. Wir hatten eine Funkerin bei uns, sie hatte vor kurzem entbunden. Der Säugling musste gestillt werden. Aber die Mutter hungerte, sie hatte keine Milch, und das Kind weinte. Und das Strafkommando war ganz in der Nähe ... Mit Hunden ... Wenn sie uns hörten, mussten wir alle sterben. Die ganze Gruppe. Dreißig Leute ... Verstehen Sie?
    Der Kommandeur traf eine Entscheidung.
    Niemand traute sich, der Mutter den Befehl zu übermitteln, aber die Mutter verstand. Sie versenkte das Bündel mit dem Kind im Wasser und hielt es lange so ... Das Kind schrie nicht mehr. Es war tot. Wir konnten nicht aufsehen. Konnten weder der Mutter in die Augen sehen noch einander.«
    »Wenn wir Gefangene machten, brachten wir sie in die Abteilung ... Sie wurden nicht erschossen, das wäre ein zu leichter Tod für sie gewesen, wir stachen sie ab wie Schweine, mit Spießen, hackten sie in Stücke. Ich ging hin, um mir das anzusehen. Und wartete! Ich wartete auf den Moment, in dem ihnen vor Schmerz die Augen platzten ... Die Augäpfel ...
    Was wissen Sie schon davon?! Sie haben meine Mutter und meine kleinen Schwestern auf einem Scheiterhaufen verbrannt, mitten im Dorf ...«
    »Ich erinnere mich nicht, im Krieg Katzen oder Hunde gesehen zu haben, aber ich erinnere mich an Ratten. Große Ratten ... Mit gelbblauen Augen ... Unzählige Ratten. Als ich nach einer Verwundung genesen war, wurde ich aus dem Lazarett in meine Einheit zurückgeschickt. Die Einheit stand in den Schützengräben vor Stalingrad. Der Kommandeur befahl: ›Bringt sie in den Mädchenunterstand.‹ Ich ging in den Unterstand und wunderte mich zunächst, dass es dort gar keine Sachen gab. Leere Betten aus Kiefernzweigen, sonst nichts. Keiner hat mich gewarnt ... Ich ließ meinen Rucksack im Unterstand und ging hinaus, und als ich eine halbe Stunde später wiederkam, fand ich meinen Rucksack nicht mehr. Keine Spur von meinen Sachen, keinen Kamm, keinen Bleistift. Dann stellte sich heraus, das alles hatten die Ratten gefressen ...
    Am Morgen zeigte man mir die angenagten Hände von Schwerverwundeten ...
    In keinem Horrorfilm habe ich je gesehen, wie Ratten vor einem Artilleriebeschuss die Stadt verlassen. Das war schon bei Wjasma ... Am Morgen liefen Scharen von Ratten durch die Stadt, gingen in die Felder. Sie spürten den Tod. Es waren Tausende ... Schwarze, graue ... Bei diesem unheilvollen Anblick drückten sich die Menschen dicht an die Häuser. Und genau in dem Moment, als die Ratten verschwunden waren, begann der Artilleriebeschuss. Kamen Flugzeuge. Von den Häusern und Kellern blieb nur noch Steinstaub ...«
    »Bei Stalingrad gab es so viele Tote, dass die Pferde nicht mehr scheuten. Normalerweise scheuen sie vor Toten zurück. Ein Pferd tritt nie auf einen toten Menschen. Unsere Toten sammelten wir ein, aber die Deutschen blieben erfroren liegen. Überall. Ich war Kraftfahrerin, ich fuhr Kisten mit Artilleriegranaten, und ich hörte ihre Schädel unter den Rädern knirschen ... Ihre Knochen ... Und war glücklich ...«
    Aus dem Gespräch mit dem Zensor:
    »Ja, wir haben den Sieg schwer errungen, aber Sie müssen nach heroischen Beispielen suchen. Die gibt
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