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Trugschluss

Trugschluss

Titel: Trugschluss
Autoren: M Bomm
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    Dienstag, 14. März 2000.
    Der Mann mit der randlosen Brille blickte durchs offene Fenster
auf den Luganer See hinab. Das Wasser glitzerte in der Frühlingssonne, drüben
erhob sich der San Salvatore, jener mächtige Berg, an den sich der Stadtteil
mit dem klangvollen Namen Paradiso schmiegt. Ein wirkliches Paradies, dachte
sich der Mann, der seinem Besucher den Rücken zukehrte. Obwohl erst März,
blühten am Seeufer schon die ersten bunten Frühlingsblumen und die Äste uralter
Bäume ragten mit ihren frischen Knospen ins Wasser, auf dem sich Schwäne und
Enten tummelten. Drüben an der belebten Uferpromenade legte ein Ausflugsschiff
an. Das Appartement, das sich in einem der eng aneinandergebauten Blöcke am
Steilhang des Monte Bré befand, geradewegs dem San Salvatore gegenüber,
eröffnete einen herrlichen Blick auf diese traumhafte Landschaft, deren
mediterranes Klima genauso geschätzt war, wie die steuerlichen Vorzüge, die die
Schweiz bot.
    Der Mann, knapp über 60, mit Jeans und
weißem Hemd gekleidet, drehte sich nicht um, als er mit deutlich amerikanischem
Akzent mit seinem Besucher sprach. »Ich sage Ihnen, die Menschheit hat nicht
die geringste Ahnung von dem, was sich zwischen Himmel und Erde tut«, sagte er
langsam, während er seinen Blick über die Dächer schweifen ließ, hinüber zum
San Salvatore, dessen Konturen im bläulichen Dunst und im Gegenlicht der
Nachmittagssonne so ungewöhnlich sanft erschienen.
    Der junge Mann, der auf der schneeweißen
ledernen Couch Platz genommen hatte, beobachtete seinen Gastgeber, den der
Ausblick auf den See zu faszinieren schien. »Ich will Ihnen da nicht
widersprechen«, erwiderte der Besucher und lehnte sich zurück, um bewusst
locker zu wirken. In Wirklichkeit aber war er angespannt, hatte er doch keine
Ahnung gehabt, wen er in diesem Appartement treffen würde. Er, 28 Jahre alt und
Physiker, aufgewachsen in Ulm an der Donau, hatte von einem früheren Lehrer
eine Internet-Adresse empfohlen bekommen, die angeblich einen attraktiven Job
versprach. So war er auf diesen Mann gestoßen, der sich als Wissenschaftler
ausgab und offenbar an einem großen Projekt arbeitete. Worum es ging, das hatte
sich aus der Homepage allerdings nicht herauslesen lassen. Und auch bei den
Telefonaten, die sie in den vergangenen Wochen geführt hatten, wollte dieser
George Armstrong, offenbar ein Amerikaner, nicht so recht mit der Sprache
herausrücken. Es sei etwas völlig Neues, eine geradezu revolutionäre Forschung,
die jedoch auch gewisse Risiken berge. Mehr war nicht zu erfahren. Deshalb
hatten sie ein Treffen vereinbart, hier in Lugano, wo der Amerikaner wohnte.
    Armstrong, leicht übergewichtig, aber
sportlich und braungebrannt, wirkte zweifellos sympathisch. Seine Haare waren
vermutlich einmal blond gewesen, doch hatte das, was ziemlich ausgedünnt von
ihnen übrig geblieben war, eine gräuliche Farbe angenommen. Er drehte sich
langsam um und verschränkte die Arme. »Sie, mein junger Freund, hätten die
einmalige Chance, an einem Projekt mitzuarbeiten, das vieles, was die heutige
Wissenschaft als unumstößlich betrachtet, aus den Fugen heben kann.«
    Jens Vollmer, so hieß der schlanke
Besucher, der sein schwarzes Haar extrem kurz trug, versuchte zu lächeln. »Daran,
dass ich hier bin, mögen Sie erkennen, dass ich mich einer großen
Herausforderung stellen möchte.« Kaum hatte er es gesagt, bedauerte er diese
hochgestochene Formulierung. Er war jedoch den Umgang mit internationalen
Wissenschaftlern nicht gewohnt. Und dieser Armstrong schien einer zu sein.
    Der Amerikaner verzog sein Gesicht zu
einem breiten Lächeln. »Leute wie Sie braucht diese Welt.«
    Vollmer richtete seinen Oberkörper auf. Er
spürte, wie er schwitzte. »Nun ja«, sagte er, »noch weiß ich nicht, was Sie von
mir erwarten und welcher Art Ihre …« er suchte nach einer passenden
Formulierung, »Ihre Aufgaben sind.«
    »Sie kommen aus Ulm?«, fragte Armstrong
und ging zu der weißen Schrankwand hinüber, zwischen deren Regale abstrakte
Gemälde die einzigen Farbtupfer waren. Aus einem Klapptürchen holte er zwei
hohe Gläser und einen Bacardi. »Drink gefällig?«
    Vollmer nickte und beantwortete die Frage
nach seiner Herkunft: »Ja, aus Ulm.«
    Der Wissenschaftler lächelte geradezu
väterlich. »Die Geburtsstadt von Einstein, hab ich recht?« Vollmer fiel jetzt
der Schweizer Akzent auf, mit dem das ansonsten perfekte Deutsch des
Amerikaners behaftet war. Er musste demnach schon längere
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