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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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einem Keller zu uns herausgelaufen und schrie: ›Tötet meine Schwester! Tötet sie! Sie hat einen Deutschen geliebt ...‹ Seine Augen waren vor Angst ganz groß. Hinter ihm kam seine Mutter angelaufen ... Im Laufen bekreuzigte sie sich immer wieder ...«
    »Ich wurde in die Schule bestellt. Die Lehrerin, die aus der Evakuierung zurückgekehrt war, sprach mit mir:
    ›Ich möchte Ihren Sohn in eine andere Klasse versetzen. In meiner Klasse sind nur die besten Schüler.‹
    ›Aber mein Sohn hat doch nur gute Zensuren.‹
    ›Das ist unwichtig. Der Junge hat unter den Deutschen gelebt.‹
    ›Ja, wir hatten es schwer.‹
    ›Davon rede ich nicht. Jeder, der in der Okkupation war ... Alle diese Leute sind verdächtig. Auch Sie ...‹
    ›Was? Ich verstehe nicht ...‹
    ›Wir sind nicht sicher, ob er sich richtig entwickelt. Er stottert ...‹
    ›Ich weiß. Das kommt von der Angst. Er wurde verprügelt von einem deutschen Offizier, der bei uns einquartiert war.‹
    ›Sehen Sie ... Sie geben es selbst zu ... Sie haben mit dem Feind zusammengelebt ...‹
    ›Wer hat denn diesen Feind bis nach Moskau gelassen? Wer hat uns denn hier mit unseren Kindern allein gelassen?‹
    Ich bekam einen hysterischen Anfall.
    Zwei Tage lang hatte ich Angst, dass die Lehrerin mich anzeigen würde. Aber sie behielt meinen Sohn in ihrer Klasse.«
    »Am Tag hatten wir Angst vor den Deutschen und den Polizisten, nachts vor den Partisanen. Mir haben die Partisanen die letzte Kuh weggeholt, ich hatte nur noch meinen Kater. Die Partisanen waren hungrig und böse. Sie führten meine Kuh fort, und ich lief hinterher ... An die zehn Kilometer lief ich mit. Ich bettelte – gebt sie mir zurück. Meine drei hungrigen Kinder hatte ich in der Hütte auf dem Ofen zurückgelassen. ›Geh weg, Frau‹, drohten sie mir, ›sonst erschießen wir dich.‹ Versuch mal, im Krieg einen guten Menschen zu finden ...
    Die eigenen Leute gingen aufeinander los. Die Kinder der Kulaken kamen aus der Verbannung zurück. Ihre Eltern waren umgekommen. Sie selbst dienten nun der deutschen Besatzungsmacht. Aus Rache. Einer tötete einen alten Lehrer ... Meinen Nachbarn ... Der hatte damals seinen Vater angezeigt, ihn ›entkulakisiert‹. Er war ein eifriger Kommunist.
    Ach, Töchterchen, ich fürchte die Worte. Sie sind so schrecklich. Wie soll man über einen Menschen richten? Der Mensch ist im Bösen aufgewachsen, in Angst. Mich hat die Güte gerettet, ich wollte niemandem Böses. Ich hatte mit allen Mitleid ...«
    »Ich kam mit zwei Ruhmesorden und mehreren Medaillen zurück in mein Dorf. Drei Tage war ich dort, am vierten weckte meine Mutter mich mit den Worten: ›Töchterchen, ich hab dir ein Bündel gepackt. Geh weg, du hast noch zwei jüngere Schwestern. Wer soll die denn heiraten ... Alle wissen doch, dass du vier Jahre an der Front warst ...‹
    Ich will mich nicht mehr erinnern. Schreiben Sie wie die anderen über meine Auszeichnungen.«
    »Krieg ist Krieg. Das ist kein Theater ...
    Die Einheit musste im Kreis antreten. In der Mitte – Mischa K. und Kolja M. – unsere Jungs. Mischa war ein mutiger Kundschafter, er spielte Harmonika. Und keiner konnte besser singen als Kolja ...
    Lange wurde das Urteil verlesen: In dem und dem Dorf hatten sie zwei Flaschen Selbstgebrannten verlangt, und in der Nacht ... haben sie die beiden Mädchen der Hausherren vergewaltigt ... Und in dem und dem Dorf: Sie nahmen einem Bauern den Mantel und die Nähmaschine ab und vertranken sie an Ort und Stelle, bei den Nachbarn ...
    Das Urteil lautete Erschießung ... Es war endgültig, Berufung ausgeschlossen.
    Wer erschießt sie? Die Einheit schweigt ... Wer? Wir schweigen. Der Kommandeur vollstreckte das Urteil selbst ...«
    »Ich bin MG-Schützin. Ich habe so viele getötet ... Der Hass schnürte mir die Kehle ab. Nach dem Krieg habe ich lange nicht gewagt, ein Kind zu bekommen. Erst, als ich mich ein wenig beruhigt hatte. Nach sieben Jahren.
    Aber ich habe bis heute nicht verziehen. Und werde auch nicht verzeihen. Ich freute mich, wenn ich gefangene Deutsche sah. Ich freute mich, dass sie so kläglich aussahen: Fußlappen statt Stiefeln an den Füßen, Fußlappen auf dem Kopf ... Sie wurden durchs Dorf geführt und bettelten: Matka, gib Brott, Brott ... Es verblüffte mich, dass Bauern aus den Hütten kamen und ihnen etwas gaben – der eine ein Stück Brot, der andere eine Kartoffel ... Die kleinen Jungen liefen hinter der Kolonne her und bewarfen sie mit Steinen. Und die Frauen
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