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Der Knochenjäger

Titel: Der Knochenjäger
Autoren: Jeffery Deaver
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durch den Tatort fährt, zerstört er vielleicht Spuren. Oder irgendwas.«
    »Oder irgendwas, Officer?«
    »Ich hab' mich nicht besonders gut ausgedrückt, Sir. Ich meine -«
    »Was ist mit dem Flughafen drüben in Newark?«
    «Ja, Sir.« Hilfesuchend blickte sie sich um. Andere Polizisten standen in der Nähe, nahmen aber tunlichst nicht wahr, wie sie abgekanzelt wurde. »Was ist mit dem Flughafen in Newark?«
    »Warum haben Sie den nicht auch gesperrt?«
    Na wunderbar. Ein Schulmeister. Ihr Julia-Roberts-Mund wurde eine Idee schmäler, aber ruhig sagte sie: »Sir, meiner Ansicht nach wäre es durchaus möglich, daß -«
    »Der New York Thruway hätte sich ebenfalls angeboten. Dazu der Jersey Pike und der Long Island Expressway. Der Interstate 70, bis rüber nach St. Louis. Das sind lauter mögliche Fluchtwege.«
    Sie senkte den Kopf etwas und erwiderte Perettis Blick. Sie waren beide gleich groß, obwohl er die höheren Absätze hatte.
    »Ich habe Anrufe vom Polizeipräsidenten erhalten«, fuhr er fort, »vom Chef der Hafenbehörde, vom Büro des UN-Generalsekretärs, dem Chef der Expo -« Er nickte zum Javits Center hin. »Wir haben den Zeitplan der Konferenz über den Haufen geworfen, die Ansprache eines US-Senators verpatzt und den Verkehr an der gesamten West Side zum Erliegen gebracht. Die Bahngleise sind fünfzehn Meter vom Fundort des Opfers entfernt, und die Straße, die Sie gesperrt haben, ist gut sechzig Meter weit weg und liegt rund zehn Meter höher. Ich meine, nicht mal Hurrikan Eva hat den Bahnbetrieb auf der Nordoststrecke derart zusammenbrechen lassen.«
    »Ich dachte nur-«
    Peretti lächelte. Weil Sachs eine wunderschöne Frau war - während des »Gammellebens«, das sie vor dem Besuch der Polizeiakademie geführt hatte, hatte sie unter anderem regelmäßig für die Chantelle Modelling Agency an der Madison Avenue als Mannequin gearbeitet -, wollte ihr der Kripomann noch einmal verzeihen.
    »Streifenpolizistin Sachs.« Er warf einen Blick auf das Namensschild an ihrer Brust, die durch die kugelsichere Weste züchtig plattgedrückt wurde. »Eine Lektion zur Lage. Arbeit am Tatort erfordert Fingerspitzengefühl, Es wäre schön, wenn wir nach jedem Mord die ganze Stadt abriegeln und rund drei Millionen Menschen festhalten könnten. Aber das können wir nicht. Ich sage das mit allem Wohlwollen. Zu Ihrer Erbauung.«
    »Genaugenommen, Sir«, erwiderte sie forsch, »werde ich aus dem Streifendienst versetzt. Mit Wirkung ab heute mittag.«
    Er nickte, lächelte freundlich, »Dann genug davon. Aber für die Akten; Es war Ihre Entscheidung, den Zug anzuhalten und die Straße zu sperren.«
    »Ja, Sir«, sagte sie schnell. »Daran gibt's nichts zu deuteln.«
    Mit schweißnassen Händen zückte er Stift und Notizbuch und schrieb ihre Aussage auf.
    Oh, bitte...
    »Und jetzt entfernen Sie die Mülltonnen. Weisen Sie den Verkehr ein, bis die Straße wieder frei ist. Haben Sie verstanden?«
    Ohne ein »Ja, Sir«, »Nein, Sir« oder irgendeine andere Bestätigung lief sie zur Eleventh Avenue und entfernte langsam die Mülltonnen. Jeder Fahrer, der vorbeikam, bedachte sie mit finsteren Blicken oder grummelte irgend etwas. Sachs schaute auf ihre Uhr.
    Noch eine Stunde.
    Damit konnte sie leben.
     
     
    ZWEI
    Der Wanderfalke schlug kurz mit den Flügeln und landete auf dem Fenstersims. Es war ein strahlender Vormittag, und die Luft draußen schien zu glühen.
    »Da bist du ja«, flüsterte der Mann, Er legte den Kopf schief und spitzte die Ohren, als unten die Türglocke ertönte.
    »Ist er das?« rief er die Treppe hinab. »Ist er's?«
    Lincoln Rhyme bekam keine Antwort und wandte sich wieder dem Fenster zu. Der Vogel verdrehte den Kopf, eine rasche, ruckartige Bewegung, die bei dem Falken trotzdem elegant wirkte. Rhyme stellte fest, daß seine Fänge blutig waren. Ein gelbliches Fleischstück hing aus seinem schwarzen Schnabel. Er reckte den kurzen Hals und begab sich zu dem Nest. Seine Bewegungen erinnerten eher an eine Schlange als an einen Vogel. Der Falke ließ das Fleisch in den hochgereckten Schnabel des flaumigen blauen Jungtiers fallen. Das hier, dachte Rhyme, ist das einzige Lebewesen in ganz New York, das keine natürlichen Feinde hat. Von Gott höchstselbst einmal abgesehen.
    Er hörte, wie jemand langsam die Treppe heraufkam.
    »Ist er das ?« fragte er Thom.
    »Nein«, antwortete der junge Mann.
    »Wer dann? Es hat doch an der Tür geschellt, oder?«
    Thoms Blick schweifte zum Fenster. »Der Vogel ist
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