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Der Knochenjäger

Titel: Der Knochenjäger
Autoren: Jeffery Deaver
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Verfärbung, die auf Tod durch Ersticken hindeutete. Sie grub weiter, bis sie die gebrochenen Augen sah und den Mund, der zu einem grausigen Grinsen verzerrt war. Vermutlich hatte das Opfer bis zur letzten Sekunde versucht, den Kopf über der schwarzen Erde zu halten.
    Es war keine Frau. Trotz des Ringes. Es war ein korpulenter Mann, um die Fünfzig. So tot wie der Boden, in dem er steckte.
    Sie wich zurück, konnte aber den Blick nicht von ihm abwenden und wäre beinahe über ein Bahngleis gestolpert. Eine ganze Minute lang war sie zu keinerlei Gedanken fähig. Stellte sich nur immer wieder vor, was für ein Gefühl es gewesen sein mußte, so zu sterben.
    Dann: Komm schon, Schätzchen. Du hast hier einen Mord an der Hand, und du bist die erste Polizistin vor Ort.
    Du weißt, was du tun mußt.
    FAUST.
    F steht für Festnahme eines Täters, falls bekannt.
    A steht für Aufschreiben von Zeugen und Verdächtigen.
    U steht für Überblick über den Tatort verschaffen.
    S steht für...
    Wofür stand S doch gleich wieder?
    Sie senkte den Kopf und sprach ins Mikrofon. »Streife 5885 an Zentrale. Einsatzmeldung. Habe einen 10-29 bei den Bahngleisen an der Siebenunddreißigsten, Ecke Eleventh Avenue. Tötungsdelikt. Brauche Kripo, Spurensicherung und Polizeiarzt. Kommen.«
    »Verstanden, 5885. Täter festgenommen? Kommen.«
    »Kein Täler.«
    »Verstanden, 5885.«
    Sachs starrte auf den Finger, von dem das Fleisch entfernt worden war. Den Ring, der nicht paßte. Die Augen. Und das Grinsen ... oh, dieses verfluchte Grinsen. Wieder schauderte es sie am ganzen Leib. Amelia Sachs war im Sommerlager in Flüssen geschwommen, in denen es vor Schlangen wimmelte, sie hatte sich zu Recht gebrüstet, daß es ihr nichts ausmachen würde, am Bungeeseil von einer dreißig Meter hohen Brücke zu springen. Aber sobald sie an Gefangenschaft dachte, an enge Räume ... sobald sie sich vorstellte, in der Falle zu sitzen, nicht weg zu können, packte sie die helle Panik. Deswegen ging Sachs schnell, wenn sie zu Fuß unterwegs war, und deswegen führ sie mit dem Auto wie der Teufel persönlich.
    Wenn man in Schwung ist, kriegt einen keiner.,,
    Sie hörte ein Geräusch und spitzte die Ohren.
    Ein dumpfes Rumpeln, das lauter wurde.
    Papierfetzen wehten die Bahngleise entlang. Staubwolken umwirbelten sie wie wütende Geister.
    Dann ein tiefes Heulen ...
    Streifenpolizistin Amelia Sachs, einen Meter fünfundsiebzig groß, stellte fest, daß sie es mit einer dreißig Tonnen schweren Amtrak-Lokomotive zu tun hatte, einem rot-weiß-blauen Stahlkoloß, der mit fünfzehn Stundenkilometern entschlossen auf sie zuhielt.
    »Sie da, stehenbleiben!« schrie sie.
    Der Lokführer beachtete sie nicht.
    Sachs rannte auf den Bahnkörper, stellte sich breitbeinig mitten auf die Gleise und winkte ihm zu, daß er anhalten solle. Quietschend kam die Lokomotive zum Stehen. Der Lokführer streckte den Kopf aus dem Fenster.
    »Sie können hier nicht durch«, erklärte sie ihm.
    Er fragte sie, was sie damit meine. Ihrer Ansicht nach sah er furchtbar jung aus, viel zu jung, um einen so großen Zug zu fahren.
    »Sie haben hier einen Tatort vor sich. Stellen Sie bitte den Motor ab.«
    »Gute Frau, ich seh' nirgendwo eine Tat.«
    Aber Sachs hörte nicht zu. Sie schaute hinauf zu einem Loch im Maschendrahtzaun, oben an der Westseite der Bahnstrecke, nahe der Eleventh Avenue.
    Auf diesem Weg hätte er sein Opfer ungesehen hierherschaffen können - wenn er an der Eleventh Avenue parkte und es durch die enge Gasse zu dem Steilabfall schleppte. An der Siebenunddreißigsten, der Querstraße, lief er Gefahr, daß jemand aus einem der zahllosen Fenster schaute und ihn bemerkte.
    »Der Zug, Sir. Lassen Sie ihn einfach stehen.«
    «Ich kann ihn hier nicht stehenlassen.«
    »Stellen Sie bitte den Motor ab.«
    »So eine Lok stellt man nicht ab. Die läuft immerzu.«
    »Und rufen Sie Ihren Einsatzleiter an. Oder irgend wen. Die Züge in Richtung Süden müssen ebenfalls angehalten werden,«
    »Das können wir nicht machen.«
    »Auf der Stelle, Sir. Ich habe die Nummer Ihres Fahrzeugs.«
    »Fahrzeug?«
    »Ich rate Ihnen, meinen Anweisungen unverzüglich Folge zu leisten«, herrschte Sachs ihn an.
    »Was wollen Sie denn machen, gute Frau? Mir einen Strafzettel verpassen?«
    Doch Amelia Sachs kletterte bereits mit ächzenden Gliedmaßen die Felswand hinauf, den Geschmack von Kalk, Erde und Schweiß im Mund. Sie rannte zu der Gasse, die sie von der Bahntrasse aus bemerkt hatte, und warf einen
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