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Der Kleine Mann und die Kleine Miss

Der Kleine Mann und die Kleine Miss

Titel: Der Kleine Mann und die Kleine Miss
Autoren: Erich Kästner
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Fäusten. »Sie lügen! Sie wollten mich zu
Lopez bringen!«
    »Lopez?«
Bernhard tat verwundert. »Nie gehört.«
    »So,
so. Und warum haben Sie dann den Jungen überhaupt gestohlen?«, fragte Herr
Steinbeiß.
    »Das
ist eine lange Geschichte.«
    »Machen
Sie die lange Geschichte kurz«, sagte der Kommissar.
    »Ich
habe nämlich einen Komplex«, begann Bernhard. »Und ich hatte diesen Komplex schon
als Kind. Wenn ich eine leere Streichholzschachtel sah, nahm ich sie, tat was
Lebendiges hinein und schleppte die Schachtel mit mir rum. Manchmal war’s ein
Maikäfer oder eine Hummel oder ein Schmetterling. Oder ein Mistkäfer. Oder eine
Schmeißfliege. Da surrte und brummte und flatterte es dann in der Schachtel und
in meiner Hosentasche. Es gab für mich nichts Aufregenderes. Und als ich von
dem kleinen Mann in der Zeitung las, hatte ich keine Ruhe mehr.«
    »Ich
bin aber kein Mistkäfer!«, schrie Mäxchen empört.
    »Komplexe
sind eine Krankheit«, seufzte Bernhard.
    »Man
sollte ihm die Hosentaschen zunähen«, meinte der Schüler Hurtig.
    Der
Kriminalkommissar drückte auf einen Klingelknopf. »Besten Dank für Ihren
Komplex, Herr... Wie heißen Sie eigentlich?
    Oder
noch besser: Wie hießen Sie, als Sie noch Maikäfer vom Baum schüttelten?«
    »Ich
wäre Ihnen sehr gern behilflich«, sagte Bernhard. »Das ist ja klar. Aber ich
habe meinen Geburtstag und den Geburtsort vergessen. Es ist alles schon so
lange her.«
    Einer
der vier Wachtmeister trat ins Zimmer.
    »Abführen!«,
befahl Herr Steinbeiß. »Und bringen Sie den anderen.«
    Der
Kahle Otto saß nun auf dem Stuhl, auf dem vorher Bernhard gesessen hatte. Er
döste vor sich hin und stierte auf die Schreibtischplatte.
    »Hallo!«,
rief Mäxchen.
    »Mit
so was wie du red ich nich«, sagte Otto. »Ich war wie ’ne Mutter zu dir, und du
hast mich reingelegt. Bauchschmerzen und 34
    Baldriantropfen,
und ich Dussel sause los – nee, da verliert man jeden Glauben.« Er schüttelte
verzweifelt den Kahlkopf. »Was soll bloß aus der Welt werden, wenn schon so
kleine Jungs so heimtürkisch sind!«
    »Heimtückisch«,
verbesserte Jakob Hurtig.
    Otto
winkte ab. »Is ja egal und Jacke wie Hose. Ich bin ’ne Seele von Mensch, und er
hat mich verpfiffen. Das darf nich mal ’n Zwerg.«
    »Für
einen Kinderdieb sind Sie mir ein bisschen zu vorlaut«, sagte der Jokus ruhig
und beugte sich vor.
    »Ich
mach den Mund überhaupt nich mehr auf«, meinte Otto,
    »nur
noch beim Zahnarzt.«
    »Das
wäre unklug, mein Lieber«, sagte der Kommissar. Dann holte er aus dem linken
Seitenfach eine Flasche Schnaps und ein Wasserglas hervor, stellte beides auf
den Schreibtisch und lächelte, als sei er Ottos Lieblingsonkel. »Sie haben den
kleinen Mann nicht geraubt. Das hat Ihr Komplize Bernhard besorgt. Immerhin
haben Sie sich der Beihilfe schuldig gemacht. Auch das ist ein schweres
Verbrechen. Aber ›Beihilfe‹ ist ein dehnbarer Begriff.«
    Der
Kahle Otto starrte wie hypnotisiert auf die volle Flasche und das leere Glas.
    »Es
liegt im Ermessen des Gerichts, wie hoch Ihre Strafe ausfallen wird.« Herr
Steinbeiß goss das Wasserglas halb voll, schob es zu Otto hinüber und sagte:
»Prost!«
    Otto
packte das Glas, und ehe die anderen bis drei zählen konnten, war es leer. Er
grunzte vor Wonne, stellte das Glas auf den Schreibtisch zurück, holte tief
Luft und fragte: »Also was wollense wissen?«
    »Sie
haben dem kleinen Mann, während Sie ihn gefangen hielten, allerlei erzählt. Von
einem gewissen Señor Lopez. Er sei der reichste Mann der Welt, lebe zwischen
Santiago und Valparaiso in einer geheimnisvollen Burg, sammle alte Gemälde und
junge Ballettmädchen und lasse sich von hundert Scharfschützen bewachen. Sie
selber und Bernhard hätten vor zwei Jahren in Lissabon eine Zigeunerin
entführt, die dem Lopez seitdem täglich die Karten legen müsse. Was wissen Sie
noch über diesen Mann und seine Mitarbeiter? Hat er Ihnen den Auftrag, den
kleinen Mann zu stehlen, direkt erteilt? Wann und wo? Oder wer war der
Mittelsmann? Wie heißt er?«
    Otto
starrte die Flasche an, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und schwieg.
    »Eine
Hand wäscht die andere«, stellte der Kommissar fest.
    »Sie
helfen mir, und ich helfe Ihnen.« Er goss das Glas wieder halb voll. »Prost!«
    Der
Kahle Otto nahm sich diesmal Zeit. Er trank in kleinen Schlucken, schüttelte
sich, als wolle er den Schnaps im Innern gründlich verteilen, und sagte dann:
»Das ist wohl die schärfste Räuberpistole, die ich
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