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Der Kleine Mann und die Kleine Miss

Der Kleine Mann und die Kleine Miss

Titel: Der Kleine Mann und die Kleine Miss
Autoren: Erich Kästner
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der
Terrasse wieder anknipste, stellten wir fest, dass Mäxchen fehlte. Er war im
Dunkeln an meinem Glas hochgeklettert und versehentlich hineingefallen. Wir
fischten ihn heraus. Er war klitschnass, hatte einen Schwips und roch drei Tage
lang nach Pfirsichbowle.«
    Jakob
Hurtig starrte mich an, sagte ehrfürchtig: »Mann, haben Sie ein Gedächtnis!«
und setzte hinzu: »Das soll sonst nur noch bei Elefanten vorkommen!«
    »Du
bist der geborene Schmeichler«, antwortete ich. »Doch davon abgesehen: An jenem
Abend habe ich ihm tatsächlich versprochen, den zweiten Band zu schreiben.
Glaubt er, ich hätte mir’s anders überlegt? Hm?«
    »Ich...
ich weiß nicht recht.« Jakob druckste herum und bekam vor Verlegenheit rote
Ohren. »Er scheint sich einzubilden, Sie säßen lieber am Fenster oder in Cafés
oder... oder Sie gingen lieber bummeln und blieben lieber vor Schaufenstern
stehen oder an Gartenzäunen und…«
    »Ich
ahne Fürchterliches«, sagte ich. »Der Bursche hält mich für ein ausgemachtes
Faultier.«
    »Also,
das Wort ›Faultier‹ kommt in seinem Brief kein einziges Mal vor. Nicht einmal
›Faulpelz‹. Das schwöre ich bei meinem Schulranzen!«
    »Aber
vielleicht das Eigenschaftswörtchen ›faul‹, ja?«
    »Das
wäre möglich«, gab Jakob zögernd zu. »Er hat sich allerdings sehr hübsch
ausgedrückt. ›Ich glaube‹, hat er geschrieben,
    ›unser
edler Dichterfürst ist ziemlich faul geworden.‹«
    Als
ich das hörte, musste ich lachen. Jakob stimmte erleichtert ein. Dann fragte
er: »Wann werden Sie denn nun mit dem Schreiben loslegen?«
    »Ich
habe bereits losgelegt«, erklärte ich triumphierend und warf mich so stolz in
die Brust, dass die Rippen knackten. »Dort auf dem Schreibtisch liegt das erste
Kapitel. Die Schreibmaschine qualmt noch.«
    Jakobs
Augen glitzerten vor Neugierde. »Darf ich’s rasch mal lesen?«
    »Nein.
Unfertige Sachen zeig ich nicht her.«
    Er
blickte gebannt zum Schreibtisch hinüber. »Schade. Kolossal schade. Denn nun
wird Mäxchen denken, Sie hätten es mir bloß nicht gezeigt, weil es gar nicht
das erste Kapitel ist, sondern ganz was anderes!«
    »Jakob
Hurtig«, sagte ich hoheitsvoll, »du bist kein vornehmer Charakter. Ich habe
eine Schlange an meinem Busen genährt.
    Noch
dazu mit einem Sülzkotelett und kühler Limonade.«
    Der
Junge fragte geknickt: »Soll ich mich fortscheren?«
    Ich
schüttelte mein graues Haupt. »Nein. Du sollst, zur Strafe, auf der Stelle das
erste Kapitel des zweiten Bandes vom kleinen Mann lesen.«
    Und
schwupp, schon saß er drüben, nahm das Manuskript in beide Hände und begann
laut und vernehmlich: »Das erste Kapitel. Kriminalkommissar Steinbeiß beißt auf
Granit. Bernhard hat einen Komplex, und…«
    »Lies
leise, Jakob!«, sagte ich nervös. »Ich kann den Text schon singen.« Dann
zündete ich mir eine Zigarette an und blickte aus dem Fenster.

    Schließlich
hatte er es geschafft, legte das Manuskript behutsam auf den Schreibtisch
zurück, nickte und meinte: »Genauso war es. Sogar der Schüler Hurtig kommt
wieder vor. Mehr kann man nicht verlangen.«
    »Ehre,
wem Ehre gebührt«, stellte ich fest. »Wer weiß, was damals aus dem kleinen Mann
geworden wäre, wenn du nicht aus dem Fenster geschaut hättest!«
     
    »Aus
dem Fenster gucken kann jeder.«
    »Die
Kunst besteht darin, im richtigen Augenblick hinauszugucken!«
    »Da
bin ich also ein Künstler«, sagte er und schnitt eine Grimasse. »Auch das noch!
Wenn Sie meine Zensuren in Singen und Zeichnen gesehen hätten, würden Sie das
stark bezweifeln. So, und nun geh ich.« Er stand auf. »Morgen schreib ich
Mäxchen, dass Sie losgelegt haben.«
    »Wo
steckt er denn zur Zeit?«
    »Sie
gastieren in Kopenhagen. Diesmal im Zirkus Schumann.
    Natürlich
mit Riesenerfolg. Und er bliebe gerne länger. Weil es ja dort das ›Tivoli‹
gibt. ›Der schönste Rummelplatz auf der Welt‹, schreibt er. Und es gäbe in der
Stadt Tausende von Läden mit Schokolade und Bonbons und vor allem mit zehn
Sorten Lakritze.
    Und
diese Läden hätten viel länger auf als anderswo. Mögen Sie Lakritze?«
    »Sehr.«
    »Ich
nicht.«
    »Du
schwärmst mehr für Ananastörtchen.«
    Er
verzog das Gesicht. »Sie sind ein Spaßvogel, Herr Dichterfürst. Na ja, und sie
wohnen alle in einem Hotel am Meer, das dort ›Öresund‹ heißt. Und auch da
gibt’s einen berühmten Rummelplatz. Den ältesten überhaupt. Er ist fast
hundertfünfzig Jahre alt und heißt ›Bakken‹. Und gegenüber einen Riesenpark
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