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Der Kleine Mann und die Kleine Miss

Der Kleine Mann und die Kleine Miss

Titel: Der Kleine Mann und die Kleine Miss
Autoren: Erich Kästner
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und Gazeröckchen, weil sie in die Manege und aufs Trampolin musste,
um dort Luftsprünge zu machen. »Bleibt es dabei?«, rief sie. »Soll ich mich in
der Pause zu unserem Filmzaren setzen?«
    »Seien
Sie vorsichtig«, warnte Direktor Brausewetter. »Der Filmzar beißt.«
    »Mich
nicht«, sagte Rosa und drehte eine Pirouette.
    »Setz
dich ruhig in seine Loge, Liebling«, meinte der Jokus.
    »Und
wenn er dich beißen sollte, beiße ich ihn wieder.«
    »Ich
werd’s ihm ausrichten.« Sie machte einen tiefen Knicks und hüpfte in die
Stallgasse.
     
    Das
Programm verlief, wie sich das für ein Programm gehört, programmgemäß. Die Artisten,
die Clowns, die Pferde und sogar die Tiger gaben sich besondere Mühe. Die
Zuschauer waren bester Laune. Und auch Mister Drinkwater fühlte sich gut
unterhalten.
    Manchmal
machte er sich Notizen. Es sah aus, als gäbe er Zensuren. Wahrscheinlich rechnete
er. Geschäftsleute haben das so an sich. Sie rechnen sogar im Traum. Es scheint
sich zu lohnen.
    Jetzt
kam die große Pause, und die meisten standen auf, aber er blieb sitzen. Doch
dann kam Rosa Marzipan, blond und in einem silbernen Kleid, und nun stand er
auf. »Sie waren sehr gut«, stellte er fest. »Und Sie sind sehr hübsch.«
    Sie
gab ihm amüsiert die Hand. »Es tut wohl, richtig beurteilt zu werden.« Nachdem
sich beide gesetzt hatten, holte sie ein Opernglas aus der Abendtasche und
hielt es ihm hin.
    Er
nahm es, betrachtete Rosa durch das Glas und nickte. »Sogar ganz besonders
hübsch!«
    »Sie
sind ein Schwerenöter, Mister Drinkwater«, sagte sie.
    »Hindurchschauen
sollen Sie doch erst, wenn der Jokus und Mäxchen auftreten!«
    »Schade«,
meinte er.
     
    Nun,
die zweite Programmhälfte geriet noch glänzender als die erste. Das war ja auch
kein Wunder. Alles wartete fieberhaft auf die Sensation, auf die Nummer ›Der
große Dieb und der kleine Mann‹. Und als Professor Jokus von Pokus unter
donnerndem Beifall die Manege betrat, presste Mister Drinkwater Rosa Marzipans
Opernglas fest an die Augen. Er ließ es erst wieder sinken, nachdem die Taube
Emma, mit Mäxchen auf dem Rücken, von ihrem Flug in die Zirkuskuppel
zurückgekehrt und wohlbehalten auf der Hand des Professors gelandet war.

    Er
war achtundzwanzig Minuten lang nicht der berühmte Filmproduzent Drinkwater
gewesen, sondern einer unter ein paar tausend verzauberten Zuschauern. Er hatte
mit ihnen gelacht. Er hatte wie sie gestaunt. Er hatte ihre Angst geteilt. Er
hatte wie sie geklatscht.
    Und
er stürzte, als das Rundgitter aus der Versenkung hochstieg, wie die anderen
zur Manege, um den kleinen Mann, der ihnen allen zuwinkte, endlich zu sehen.
Denn: Gesehen hatte er ihn, trotz Opernglas, nicht eine Sekunde.
    Das
Marzipanfräulein hatte den Herrn aus Hollywood nicht aus den Augen gelassen.
Ihr war nichts entgangen. Sie wusste nun, dass er nicht nur der kühle Kaufmann
war, der statt des Lebens Zahlen sah, statt der Menschen ihre Gehaltsansprüche
und statt eines Blumenstraußes dessen Ladenpreis.
    Als
er sich aber durch die aufgeregte Menge durchgequält hatte und in die Loge
zurückkam, war er schon wieder der kühle Rechner. »Die Zeltkuppel wird sich
schlecht ausleuchten lassen«, sagte er verdrossen. »Aber den Flug auf der Taube
muss ich, scharf wie durch die Lupe, im Kasten haben. Gibt es denn bei euch
keine festen Häuser? Zirkusgebäude aus Stein? Mit stabilen Rampen für die
Scheinwerfer in der Kuppel? Und für meine Kameraleute?
    Außerdem
sind für Aufnahmen in Viermastzelten die Versicherungsprämien blödsinnig hoch.«
    Rosa
lachte. »Wenn das nicht so wäre, müssten nicht wir Zirkusleute, sondern die
Versicherungsangestellten in Zelten arbeiten.«
    »Eine
wundervolle Idee!«, sagte Mister Drinkwater und schloss genießerisch die Augen.
»Es wäre ihnen von Herzen zu gönnen.«
    Dann
wurde Rosa sachlich. Beispielsweise in München, berichtete sie, gäbe es den
Zirkus Krone. Am Marsplatz. Nicht weit vom Hauptbahnhof. Ein stabiles und vor
wenigen Jahren renoviertes Gebäude.
    »Kann
man den Zirkus mieten?«, fragte Drinkwater.
    »Wozu?«,
fragte das Marzipanfräulein. »Wir gastieren dort sowieso. Noch in diesem Jahr.«
    »Hoffentlich
nicht im Dezember, denn dann schlafe ich.«
    »Direktor
Brausewetter hat für Oktober und November abgeschlossen«, sagte Rosa.
    »Allright«,
meinte Drinkwater. »München ist gut. Und zwei Monate sind gut. Den Zirkus
drehen wir im Zirkus, die Atelierszenen bei der ›Bavaria‹ in Grünwald, und
Pichelstein
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