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Der Kleine Mann und die Kleine Miss

Der Kleine Mann und die Kleine Miss

Titel: Der Kleine Mann und die Kleine Miss
Autoren: Erich Kästner
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liegt, glaube ich, auch in der Nähe.«
    »Was
wollen Sie denn in Pichelstein?«
    »Aber
dort beginnt doch unser Film!«, erklärte er. »In dem kleinen Dorf mit den
kleinen Häusern und den kleinen Einwohnern und Turnern und mit Mäxchens kleinen
Eltern, wie sie beide mit ihren kleinen Koffern zu dem kleinen Bahnhof
marschieren, um in der großen Welt ihr Glück zu versuchen. Oder wissen Sie
einen besseren Anfang?«
    Sie
schüttelte lächelnd den Kopf. »Es gibt keinen besseren, Mister Drinkwater.«
    »Nennen
Sie mich John«, sagte er vergnügt.
    Die
Zuschauer rundum wurden unruhig. Sie machten »Psst!«
    und
»Schscht!«. Einer sagte sogar: »Nun halten Sie endlich die Klappe!«
     
    Nach
der Vorstellung traf man sich im Blauen Salon des Hotels, in dem der Jokus und
Mäxchen wohnten. Anwesend waren, um das vorwegzunehmen, fünf Personen: Rosa
Marzipan, John F. Drinkwater, der kleine Mann, Jokus von Pokus und – verlegen
in eine Ecke geklemmt – Direktor Brausewetter. Er trug mausgraue Handschuhe.
Sozusagen Halbtrauer. Die pomadisierten Schnurrbartspitzen trug er auf
halbmast. Vielleicht war der Filmonkel aus Amerika noch immer auf ihn böse.
    »O
warte!«, flüsterte Mäxchen hingerissen, als Mister Drinkwater auftauchte. »Der
Mann hört ja oben gar nicht auf! Das wär was für mich! Die geborene
Kletterstange!«
    »Benimm
dich!«, sagte der Jokus streng. Der kleine Mann saß auf dem Tisch und löffelte
heiße Schokolade.
    »Zu
Befehl, Herr Professor«, wisperte Mäxchen.
    Drinkwater
zündete sich eine große schwarze Zigarre an und erklärte dann: »Ich möchte
Mäxchen Pichelsteiners Lebensgeschichte verfilmen, und er muss die Rolle
natürlich selber spielen.
    Auch
die anderen Hauptrollen will ich nicht mit Schauspielern besetzen, sondern mit
Ihnen. Gute Artisten sind fast immer brauchbare Schauspieler.«
    »Und
wer spielt den Zirkusdirektor?«, fragte Direktor Brausewetter vorsichtig.
    Drinkwater
lächelte. »Selbstverständlich Sie! Oder wissen Sie einen besseren? Nein? Ich
auch nicht.«
    Brausewetters
welke Schnurrbartspitzen richteten sich wieder auf. Dann zog er, heimlich
unterm Tisch, seine grauen Handschuhe aus und steckte sie weg. Kurz darauf trug
er schneeweiße Handschuhe! Das war keine Hexerei, sondern er hatte immer ein
weißes, ein graues und ein schwarzes Paar bei sich. Und er wechselte sie je
nach der Laune, in der er sich befand. Das brauchte er zum Leben. Warum auch
nicht? Es gibt schlechtere Gewohnheiten. Und die meisten sind teurer.
     
    Mister
Drinkwater erzählte ausführlich, wie er sich den Film vorstelle. Wann und wo er
ihn drehen wolle. Dass er selbst die Regie übernehmen werde. Welche zwei
Schauspieler er für die beiden Kinderdiebe im Auge habe, weil, so scherzte er,
die echten Halunken, Bernhard und der Kahle Otto, vom Gefängnisdirektor
höchstwahrscheinlich keinen Filmurlaub bekämen. So weit sei ihm alles klar.
»Nur etwas fehlt mir noch«, meinte er. »Etwas sehr Wichtiges.
    Eine
Liebesgeschichte. Denn eine Liebesgeschichte gehört in jeden Film. Aber die
wird mir schon noch einfallen.«

    Da
lachte Mäxchen und hätte sich fast an der heißen Schokolade verschluckt.
    »Vielleicht
können wir Ihnen helfen«, sagte Rosa Marzipan und verzog keine Miene. »Wie
wär’s, wenn sich in Ihrem Film eine der drei Luftspringerinnen in den
Zauberkünstler verliebte?
    Und
der Zauberkünstler in die hübsche blonde Luftspringerin?«
    Drinkwater
zog an seiner Havanna und dachte nach. »Keine schlechte Idee. Aber da fehlt
noch der dramatische Konflikt. Der ist das Wichtigste. Den braucht das
Publikum. Glück ohne Schwierigkeiten ist nichts fürs Kino.«
    »Auch
das ließe sich machen«, meinte Direktor Brausewetter, während er den linken
weißen Handschuh zärtlich mit dem rechten streichelte. »Wenn zum Beispiel einer
der Clowns auf den Zauberkünstler eifersüchtig wäre und in der
Artistengarderobe dessen Frack mit dem des Kunstreiters vertauschte…«
    »Ich
bin ganz Ohr«, sagte Drinkwater gespannt.
    »Und
wenn der Kunstreiter im Zauberfrack in die Manege ritte, ohne von dem Tausch
etwas zu ahnen... Und wenn dann plötzlich aus dem falschen Frack die großen
Papierblumensträuße und die zwei dressierten Tauben herausflögen, und das weiße
Kaninchen spränge in die Manege... Und der Hengst würde kopfscheu, und der
berühmte Kunstreiter fiele in den Sand…«
    »Wundervoll!«,
rief Drinkwater. »Das ist die Lösung! Liebe, Eifersucht, Spannung, vertauschte
Fräcke, komische Szene vor
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