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Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells

Titel: Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells
Autoren: Richard Harvell
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aus Satin und Matratzen aus den feinsten Daunen, und
jedes Mal, wenn Fräulein Schmeck unsere Decken ausschüttelte, fielen Gold- und
Silbermünzen – die Früchte meines Erfolgs – auf den Boden.
    Sicherlich erinnerst du dich an die
Jahre in Neapel. Dort gab es immer noch drei Schöße, auf denen du sitzen
konntest, zusätzlich zu dem deines Vaters. Du hattest deine Kinderfrau, die du
geliebt hast wie eine Großmutter. Du hattest den kleinen Tasso, den du bald
überragt hast. Du hattest Remus, den du Onkel genannt hast und dessen Bücher du
weggenommen und unter deinem Bett versteckt hast.
    Aber mit Sicherheit hast du den
vierten – Nicolai, deinen Namensvetter – vergessen. Wir mussten ihn in Venedig
zurücklassen und begruben ihn in einer engen Straße unter einer Steinplatte
ohne irgendeine Markierung zum Gedenken, wie es in dieser Stadt üblich ist. Er
lebte nur noch sechs Monate, nachdem wir in der Stadt angekommen waren, von der
er immer geträumt hatte. Remus fand ihn eines Morgens. In der Nacht zuvor hatte
er sich zum Gebet hingekniet und war vornübergefallen. Er war tot.
    Auch wenn du dich nicht genau an unser
Leben in Venedig erinnerst, kennst du es gut, weil wir so viel davon gesprochen
haben, und auch, weil es Stoff für Legenden geworden ist. Die Geschichte
verzeichnet Heldentaten, und Ende 1763, in der Nacht meines Debüts im Teatro
San Benedetto, wurde ich zum Helden. Jede Beschreibung meiner Stimme berichtet,
wie ich die Zuhörer in Venedig in Erstaunen versetzt habe, und die dickeren
Bände erzählen auch von dir in meinen Armen, während schöne Frauen Rosenblüten
von ihren Balkonen auf uns regnen ließen. Seit jenem Frühling ist mein Leben
von so vielen anderen aufgezeichnet worden, dass es nicht an mir ist, es zu
erzählen.
    Ein letztes Geheimnis aber habe ich
immer gewahrt.
    In jenem Frühling, nachdem wir aus
Wien geflohen waren, fuhr Tasso ohne Unterlass unsere Kutsche, bis wir ins Meer
gefallen wären, hätte er seine Peitsche nur noch einmal geschwungen. Dann
kletterten wir alle hinunter – der kleine Tasso, der Riese Nicolai, der
hässliche Remus, das gorillagleiche Kindermädchen, der Musico und sein Baby.
Niemand hatte daran gedacht, mir zu sagen, dass Venedig eine Insel ist, was
Grund genug für mich gewesen wäre, ein anderes Ziel zu wählen. Ich zitterte und
sagte, ich würde keinen Fuß auf die Fähre setzen. Nicolai und Fräulein Schmeck
hielten mich fest, während mir Remus eine Augenbinde anlegte. Und trotzdem –
als ich an Deck lag, wünschte ich mir einen Sack Buchweizen, um ihn zu umarmen.
    Und dann waren wir angekommen. Wir
staunten über die Paläste, die im Meer standen. Remus hielt Nicolais
Ellenbogen, damit er nicht in das stinkende Wasser fiel. Wir liefen durch die
engen Straßen und kauften Fräulein Schmeck jedes Stück Stoff, jedes Parfum,
jedes Schmuckstück, das sie begehrte. Auf der Piazza San Marco hast du beim
Anblick der Schiffe auf dem Canale di San Marco vor Freude gequiekt. Nicolai
starrte in den Schatten der Basilika hinauf. Er nickte mir einmal zu, und dann
marschierte er wie ein Soldat, der einem übermächtigen Feind entgegentritt, in
die Basilica San Marco. Fräulein Schmeck wurde von Händlern umschwärmt. Sie
streichelte, beschnüffelte oder probierte alles, was ihr angeboten wurde. Sie
gab unser Gold aus. Tasso wanderte zum Wasser und sah zu den Schiffen hinaus.
Nur Remus blieb bei uns. Er lächelte mich an.
    »Kannst du genau hier auf uns
warten?«, fragte ich.
    »Natürlich.«
    Dann waren wir allein, du und ich. Ich
trug dich durch die engen Gassen, in die nie die Sonne dringt, und über Brücken,
wo wir stehen blieben, damit du die Gondeln ansehen konntest, die unter uns
dahinglitten. Ich fragte alle: Dov’è il teatro? Sie zeigten mir die Richtung mit dem Finger, und ich
machte mich auf den Weg, aber wenn du überrascht warst und die Hand zum Canal
Grande oder nach einem Sonnenstrahl ausstrecktest, der in den Fenstern eines
großen Palazzos glitzerte, gingen wir stattdessen dorthin. Wir verliefen uns
immer wieder und die Passanten halfen uns weiter, bis wir schließlich zu dem
Theater gelangten, das ich suchte, das Teatro San Benedetto, dessen Namen deine
Mutter und ich uns so oft zugeflüstert hatten. Es war noch früh am Nachmittag,
und der kleine Platz vor dem Theater war leer, obwohl ich hören konnte, dass im
Inneren geprobt wurde. Das Gebäude hatte eine prächtige Fassade mit Säulen, die
halb aus der Wand hervortraten, und drei
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