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Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells

Titel: Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells
Autoren: Richard Harvell
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grenzenlos war, beschloss sie, wie
eine solche zu leben. Sie kaufte Cremes und Parfums. In Salzburg bestellte sie
Kleider. Das Baby brauchte Kleidung aus Seide und Baumwolle, verlangte sie, und
alle Arten von Wickeltüchern, um den verschiedenen Flüssigkeiten und festen
Stoffen zu begegnen, die es ausschied. Sie kommandierte uns herum, als wären
wir bei ihr angestellt und nicht umgekehrt – und wir befolgten jeden Befehl.
    In der Tat regierte sie von jenem
Neujahrstag an sieben Jahre lang unser Zuhause, sei es Kutsche oder Villa, bis
sie mich 1769 dazu brachte, ihr ein Haus über der Bucht von Neapel zu kaufen.
Ich vermute, dass sie immer noch dort lebt und in ihrer massigen Faust Trauben
zerquetscht, um ihren Saft zu Wein zu machen.
    So bestand unsere Gruppe aus sechs
Personen, als wir in jenem Winter die Alpen überquerten. Wir eilten durch
Salzburg und Innsbruck und erreichten den Brennerpass gerade zu dem Zeitpunkt,
als das Tauwetter sehr früh einsetzte. Und im Frühling hörte ich dann das
Italienisch, das von zahnlosen Bauern und ihren schwarzhaarigen Töchtern mit
blitzenden Augen gesprochen wurde. Die Sprache, von der ich einst geglaubt
hatte, sie wäre für die Oper gemacht, erklang wie der Gesang der Vögel, wenn
wir durch Kastanienwäldchen fuhren. Immer wieder wechselten wir die Pferde, und
die Sonne wurde mit jedem Tag wärmer. Wir saßen auf dem Dach unserer Kutsche,
als Tasso uns in die venezianische Ebene hinunterfuhr. Remus streckte sich mit
einem Buch aus. Nicolai rief uns zu, wir sollten die Wunder betrachten, von
denen er behauptete, er sehe sie durch seine Augengläser: dicke Trauben, die
bereits im März reif waren, Goldklümpchen, die auf der Straße herumlagen,
Vögel, zweimal so groß wie ein Mensch, die an der Sonne vorbeiflogen.
    Ich sang die Arien, die Guadagni in
seinem Haus geprobt hatte, und wenn wir vorbeikamen, hörten Bauern mit dem
Melken auf, um zuzuhören. Verwunderte Kinder rannten uns nach. Und mittendrin
saß Fräulein Schmeck im Schneidersitz wie eine Fruchtbarkeitsgöttin auf der
riesigen Kutsche, während eine gerundete Brust in der Sonne trocknete und sich
an der anderen ein draller Säugling an der Milch gütlich tat.
    Ich erinnere mich an einen Tag
viele, viele Jahre vor dieser Flucht über die Alpen, damals in Nebelmatt, als
ich am Rand unseres Glockenturms saß und meine Mutter ihre Glocken läutete. Ich
sah auf die gewundene Straße, die weit unter mir lag und auf der langsam eine
Kolonne Soldaten marschierte. Der Tag war so still, dass ich das Klirren von
Schwertern und die Rufe der Kutscher hören konnte. Ich muss den Hals gereckt
und mich ein wenig vorgebeugt haben, ich achtete nicht auf die Kante und wollte
in meiner Neugier nur die merkwürdigen Wesen betrachten, die an unserem Zuhause
vorbeischwärmten. Ich glaube nicht, dass ich gefallen wäre, aber meine Mutter
war trotz ihrer Verzauberung durch die Glocken plötzlich beunruhigt. Sie ließ
ihre Hämmer fallen, ergriff meine Arme und zog mich von der Kante zurück. Sie
umarmte mich fest. Sie sah so beunruhigt aus, dass ich nach unten auf die
Kolonne zeigte, wie um zu sagen: Mutter, ich habe
doch nur die Soldaten da unten angeguckt. Sie hatte natürlich nichts gehört, aber jetzt blinzelte sie und sah blitzendes
Metall – die schwarze Menschenschlange, die über die Straße glitt. Und da wurde
ihr Gesicht traurig. Sie sah auf die Soldaten und dann auf mich, als wolle sie
sagen: Ach, mein Sohn, es tut mir so leid.
    Damals wusste ich nicht, was sie damit
meinte.
    Aber Jahre später, als ich auf unserer
Kutsche saß, umgeben von meinen Freunden und meinem Sohn, als sich Italien vor
uns öffnete, verstand ich es plötzlich: Es tut mir so
leid, dass deine Welt meinetwegen so klein ist, wollte sie sagen. Und deshalb lächelte ich oben auf unserer Kutsche, denn
ich wusste: All das hatte sie mir schenken wollen.
    Nicolai, mein Sohn, habe ich dich für
alles entschädigt, was ich dir geraubt habe? Habe ich den Reichtum und die
Stellung, die dir bestimmt waren, durch Liebe aufgewogen? Dein doppeltes Erbe?
Denke einmal an alles zurück: an unser Leben in London, nur wir zwei. So viel
Ruhm, dass die Massen unsere Kutsche bedrängten. Vielleicht erinnerst du dich,
dass ich andere geliebt habe – obwohl jede Liebe in meinem Herzen nur ein Echo
jener ersten war. Bringt dir der Geruch von Pferdemist unsere Reisen durch
Italien in unserer großen schwarzen Kutsche in Erinnerung? Zu jener Zeit hatte
unsere Kutsche Vorhänge
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