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Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells

Titel: Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells
Autoren: Richard Harvell
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Schreien und unsere Eile würden nur
die Aufmerksamkeit auf uns lenken.« Remus griff in Herrn Dufts Goldschatulle,
die noch immer fast voll war. Er nahm eine einzige Münze heraus, stieg aus der
Kutsche und verschwand in einer der trostlosen Gassen. Dreißig Minuten
vergingen, und das Kind begann, meinem Finger zu misstrauen. Es schrie, bis
sein Gesicht rot angelaufen war. Tränen stürzten ihm über die Wangen. Ich sah
hilflos zu und hatte Angst, ich hätte einen furchtbaren Fehler gemacht.
    Dann zeigte Tasso aus dem Fenster.
Remus kam die Gasse hinunter. Direkt hinter ihm trottete eine gebeugte Gestalt,
deren Arme fast bis zu den Knien reichten. Gräfin Riechers Zerberus? Aber Remus
sah zufrieden aus, und als sie näher kamen, erkannte ich, dass dieser Gorilla
eine Frau war – die merkwürdigste Vertreterin ihres Geschlechts, die ich je
gesehen hatte. Sie war sehr groß, an all den richtigen Stellen rund, aber auch
an vielen falschen; ihre Wangen bildeten Fettwülste, und der üppige Busen war
genauso wenig zu übersehen wie ihr Hängebauch.
    Remus öffnete die Tür und sie steckte
ihr viereckiges Gesicht in die Kutsche. Ihr Kinn war viel männlicher als
meines, und sie hatte schwarze Haare, wo ich keine hatte. Sie betrachtete
Nicolai, Remus und mich. Das Baby fing wieder an zu schreien, wobei sein
Gesicht purpurrot anlief, aber sie schien es weder zu sehen noch zu hören. Sie
wog Herrn Dufts Goldmünze in der Hand und musterte uns noch einmal, als wolle
sie entscheiden, was schwerer wog.
    »Und dasselbe noch einmal in drei
Monaten?«, fragte sie Remus über die Schulter.
    »Dasselbe noch einmal. Aber bitte,
beeilt Euch. Wir haben keine Zeit.«
    »Ich brauche meine Sachen.«
    »Auf dem Weg kaufen wir alles, was Ihr
benötigt.«
    Bei diesem Angebot grinste sie
verschmitzt, und die Kutsche neigte sich zur Seite, als sie sich durch die Tür
quetschte. Sie stand hoch über mir, massiv. Ihre Hände waren riesig und
aufgerissen – Metzgershände.
    »Seid Ihr der Vater?«, brüllte sie, um
das schreiende Baby zu übertönen.
    »Er ist der Sohn seiner verstorbenen
Schwester«, erläuterte Remus.
    »Aber er wird mich Vater nennen«,
platzte es aus mir heraus.
    »Meinetwegen kann er Euch Papst
nennen«, sagte sie, »solange Ihr mich bezahlt, wenn es so weit ist.«
    Ich nickte zur Bestätigung.
    »Gebt ihn her.« Sie streckte die Arme
aus. Er stieß mit den Beinen und wedelte mit den Armen, als ich ihn ihr gab.
Sie ergriff ihn und hielt ihn in die Höhe, um ihn zu betrachten. Er brüllte ihr
ins Gesicht.
    »Hübscher Junge«, sagte sie. »Wie
heißt er?«
    In der Aufregung unserer Flucht hatte
ich mir diese Frage nie gestellt. Plötzlich sahen mich alle an. Das Baby
wendete den Kopf und brüllte jetzt auch mich an.
    »Sein Name ist Nicolai«, sagte ich.
    Der ältere Nicolai klatschte vor
Freude in die Hände.
    »Nun, Nicolai«, sagte sie dem Baby ins
Gesicht, »ich schätze, du willst dein Frühstück.«
    Sie verscheuchte Tasso mit einer
Handbewegung von seinem Platz. Die Federn der Kutsche ächzten, als sie ihren
Körper nach unten senkte, um sich zu setzen. Dann schockierte sie uns alle, als
sie mit zwei geschickten Fingern zwei Knöpfe ihres Hemdes öffnete, die eine
Klappe freilegten. Unvermutet erblickten wir eine pralle Brust und eine
fingerdicke Brustwarze.
    »Mund zu«, schnappte die Amme, als sie
den Kopf des kleinen Nicolai in den weichen Hügel schob. Aber unsere Kiefer
waren zu schwer. Sie schüttelte den Kopf. »Also gut, aber erwartet nicht, dass
ich mein Handwerkszeug verstecke.«
    Der Name des Gorillas war Fräulein
Schmeck. Sie übernahm schnell die Kontrolle über unseren Haushalt, indem sie
mit einer Hand den kleinen Nicolai an ihre Brust drückte, mit der anderen Öl in
die Schläfen des großen Nicolai rieb (ihre riesige Hand konnte sein Gesicht
ganz umfassen), die ganze Zeit über Tasso Befehle zurief, während er die
Kutsche lenkte, und Remus und mir mitteilte, was wir in der nächsten Stadt
kaufen müssten. Um Mittag dieses ersten Tages grübelten wir alle im Stillen
darüber nach, ob es eine Möglichkeit gäbe, sie aus unserer Kutsche zu
vertreiben. Schon einen Tag später jedoch, als das Baby glücklich war, Nicolai
sich besser fühlte als seit Jahren, Remus genügend Ruhe hatte, um seine Bücher
zu lesen, und viele Meilen zwischen uns und Wien lagen, gaben wir alle Pläne
auf, unsere neue Monarchin zu stürzen. Sie war keine feine Dame, aber sobald
sie erkannte, dass unser Reichtum offenbar
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