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Der junge Seewolf

Titel: Der junge Seewolf
Autoren: Adam Frank
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anzukreuzen. Sie würden spätestens in der Fiddler's Road, dem breiteren Flußabschnitt bei Greenhite, ankern und besseren Wind und die Ebbe abwarten, erklärte der Kapitän.
    Hier und da wies er noch auf einige Schiffe hin: Kohlefrachter aus Newcastle, die eine oder andere Schnau aus der Ostsee, mehrere Themsebarken.
    Viele liefen heute nicht aus, sagte er, die meisten würden wohl auf besseren Wind warten.
    Der Professor wandte ein: »Mehr Schiffe können doch hier gar nicht fahren. Man müßte ja dauernd fürchten, gerammt zu werden.«
    »Warten Sie nur ab, was sich im Pool drängt, Herr Professor. Da wissen auch alte Fahrensleute oft nicht mehr, wie sie durchschippern können.«
    Inzwischen war das Königliche Hospital in Greenwich in Sicht. Der Professor bewunderte die klassische Weitläufigkeit des Gebäudes, und der Kapitän steuerte einige Bemerkungen über die Fürsorge für kranke und invalide Seeleute bei, von der andere Fürsten und Herren sich eine Scheibe abschneiden könnten.
    Dann schlug er vor, die Passagiere möchten noch einen kleinen Imbiß nehmen und dann besser vom Vorschiff – »aber nicht in der Nähe der Ankermannschaft!« – das Einlaufen in den Hafen beobachten. Das Achterdeck brauche er dann ausschließlich zur Führung des Schiffes.
    Davids fragenden, bittenden Blick beantwortete er nur mit einem Kopfschütteln und einer Handbewegung in Richtung des Niederganges. Dann wandte er seine ganze Aufmerksamkeit dem Strom, der Takelage und dem Ruder zu.
    Lange hatte der Imbiß nicht gedauert. Die Passagiere, die London noch nicht oder lange nicht angelaufen hatten, kamen bald wieder an Deck. Andere, die die Route häufiger befuhren, ließen sich mehr Zeit. David war unter den ersten und sah noch die Königliche Werft von Deptford achteraus entschwinden. Zu seiner Enttäuschung lagen nur einige Fregatten und Sloops abgetakelt in der Werft. Kein Kriegsschiff setzte Segel.
    Die Brigg folgte jetzt einer scharfen Flußkurve nach links, und als David den Blick nach vorn richtete, lag London vor ihm. Die Mittagssonne an diesem Märztag des Jahres 1774 schien wieder durch langsam südostwärts ziehende Wolken.
    David legte die Hand über die Augen und starrte wortlos auf das Unvorstellbare. Der Fluß schien unter einer Fülle von kleinen und großen Schiffen zu verschwinden. Einige lagen am Ufer vertäut, andere ankerten im Fluß und Boote schwirrten zwischen ihnen in allen Richtungen umher.
    In der Flußmitte drängelte sich gerade der Kutter aus Gravesend durch das Gewimmel. Am rechten Ufer begann ein unübersehbares Häusergewirr. Kleine, elende Katen waren es zumeist, aber weiter vorn erahnte man mehr, als man es sah: die dunkle Masse des Towers und die großen Steinbauten.
    Nach Backbord hin, auf der südlichen Flußseite, standen nur hier und dort kleine Hütten, die sich erst in Höhe des Towers zu einer Siedlung verdichteten. Zum ersten Male nach dem Abschied von seinen Eltern wurde David ein wenig bange vor dem Neuen, das vor ihm lag.
    Das also war London, Hauptstadt eines maritimen Weltreiches. Niemand wußte, wie viele Einwohner es jetzt hatte, siebenhundert- oder schon achthunderttausend? Für die einen war die Stadt Mittelpunkt des Handels und des kultivierten Lebens. Für die anderen war sie ein Sündenbabel mit ihren riesigen Elendsvierteln an den Peripherien, mit ihrem Dreck, ihren Dieben, Hehlern, Prostituierten, der unvorstellbaren Armut und den ständigen Seuchen.
    Aber jene, die in den schönen Steinhäusern wohnten, in prachtvollen Bankgebäuden ihren Geschäften nachgingen, in sauberen, soliden Läden einkauften und in exklusiven Klubs speisten, sahen die anderen ja kaum durch die Fenster der Kutschen im Vorbeifahren, rochen den Mief nur durch den Filter des parfümierten Ziertuches. Eigentlich waren es zwei Städte, räumlich miteinander verwoben, aber im Leben durch Welten getrennt.
    David erwachte langsam aus seiner Erstarrung. Vor Erregung stotternd wandte er sich dem Bootsmann zu, der die Aufsicht auf dem Vorschiff hatte. »Was ist denn jetzt hier los, Herr Jansen! Das sind doch Tausende von Schiffen, warum sind die gerade heute alle hergekommen?«
    Lorenz Jansen, ein großer, strohblonder Friese, etwa fünfundzwanzig Jahre alt, lachte. »Aber, junger Herr, das ist der Pool, der Londoner Hafen. So sieht das hier immer aus. Der Hafen ist zu klein für die Schiffe aus aller Welt, die hier Ladung löschen und Passagiere anlanden wollen. Er bietet Anlegeplätze für rund
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