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Der junge Seewolf

Titel: Der junge Seewolf
Autoren: Adam Frank
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Grey mit flüchtigem Seitenblick zu David ein, obwohl es ja auch einiges gäbe, was man nicht verachten könne und was man in Portsmouth nur hausbackener erhalte, wenn man es sich überhaupt getraue. Aber nach einem bedeutungsvollen Blick von Davids Onkel spann er das Thema nicht weiter aus.
    David beugte sich aus dem Fenster, als die Kutsche über die Westminster-Brücke polterte, und wich zurück, als sie durch die armen, schmutzigen Viertel am Südufer fuhr, wo Scharen zerlumpter Kinder neben der Kutsche herrannten und bettelten. Die Herren achteten wenig auf die ihnen bekannte Umgebung und erzählten von ihren Theaterbesuchen in London.
    »Stellen Sie sich vor«, ereiferte sich Mr. Grey, »ich habe mir im Haymarket-Theater die Bettleroper angesehen. Ich mag Opern und musikalische Pantomimen, wie Sie wissen, und sehe auch Mrs. Thompson gern. Aber die Oper spielte unter Dieben, Gaunern und Dirnen. Sie ahmten die Gefühle nach, die anständige Bürger empfinden, und scheuten sich dann nicht, ihrem Milieu entsprechend auf der Bühne zu morden. Sollen wir diese Welt noch aufs Theater bringen.«
    »Aber, aber, Mr. Grey«, unterbrach Mr. Foot, »wird denn bei Shakespeare nicht gemordet, stellt er nicht manchen abgefeimten Gauner auf die Bühne? Und Mr. Bannister soll in der Bettleroper doch vorzüglich singen, habe ich in der Gazette gelesen.«
    Das müsse man zugeben, räumte Mr. Grey ein, aber bei Shakespeare werde doch der Pöbel nicht verherrlicht.
    Davids Onkel wollte neutral bleiben: »Ich habe vorgestern Hamlet im Drury-Lane-Theater gesehen, und Mord und Schurkerei gab es genug, wie Sie wissen, aber bei Hofe. Und Mr. Garrick ist ein so hervorragender Schauspieler, daß mir fast das Herz aussetzte, als er mit dem Geist des Vaters sprach.«
    »Ich habe davon gehört«, sagte Mr. Foot. »Wer spielte die Ophelia?«
    »Das war Mrs. Smith, und sie war ebenso wie Mrs. Hopkins als Königin beeindruckend, aber Mr. Garrick kann auf der Bühne keiner das Wasser reichen. Meine Frau wird mich beneiden.«
    Eine Weile schwieg das Trio. Die Kutsche hatte London hinter sich gelassen und fuhr über die Landstraßen in Sussex. Mr. Barwell wies seinen Neffen auf Dörfer und Viehherden hin. Einmal rumpelten sie an einer Picknickgesellschaft vorbei, die ihnen übermütig zuwinkte.
    »Sagen Sie mal, meine Herren«, begann Mr. Foot wieder das Gespräch, »haben Sie die neuen Nachrichten aus Amerika gehört?«
    »Meinen Sie die Aufrührer, die in Boston Tee in den Hafen geschüttet haben?« fragte Davids Onkel.
    »Viel schlimmer! Es steht in den Zeitungen, daß Hancock mit seinen als Indianer verkleideten Spießgesellen hinter der ›Teaparty‹ in Boston, wie es einige nennen, steckte. Aber auch in Charleston, Annapolis und New York haben Banditen jetzt Tee ins Wasser geschüttet oder ihn verbrannt. Wohin soll das führen? Das ist doch Aufruhr! Sie wissen, daß mein Vetter im Handelsministerium arbeitet. Von ihm weiß ich das Neueste: Lord North hat mit seinem Kabinett beschlossen, den Hafen von Boston für jeglichen Handel zu schließen, bis die Banditen der East India Company den Schaden ersetzt haben. Das wird ihnen zeigen, wohin Rebellion führt!«
    »Wenn das nur gut geht«, seufzte Davids Onkel.
    »Aber, Mr. Barwell«, griff der Schiffbaumeister ein, »wir können doch diese Radaubrüder nicht immer nur gewähren lassen. Als wir die Kolonien gegen die Franzosen und die mit ihnen verbündeten Rothäute verteidigen mußten, waren wir und unser Geld gut genug. Und jetzt müssen wir jedes Jahr, das der Herrgott werden läßt, vierhunderttausend Pfund für Verteidigung und Verwaltung der amerikanischen Kolonien zahlen, aus unseren Taschen, meine Herren, und die Schmuggler und Banditen steuern nicht einen Penny bei. Der Tee der Ostindischen Handelsgesellschaft, den sie jetzt in die Häfen werfen, ist mit der Steuer billiger als der holländische Tee, den sie mit Schmugglerschiffen ins Land bringen. Aber sie kaufen das holländische Schmuggelgut, diese Schurken, um bloß nicht zu den Steuern beizutragen.«
    »Mr. Grey, ich lasse mich in der Treue zu unserem Land und unserem Herrscherhaus von niemandem übertreffen«, sagte Davids Onkel mit ruhiger Bestimmtheit. »Ich verurteile diese Gewalttaten nicht weniger als Sie. Aber ich glaube nicht, daß Lord North und seine Minister geschickt mit den Kolonisten umgegangen sind. Sie haben Gesetze erlassen, um Gelder einzutreiben, haben sie dann halb oder ganz zurückgenommen, wenn die
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