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Der junge Seewolf

Titel: Der junge Seewolf
Autoren: Adam Frank
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sechshundert See- und Küstenschiffe. Da oft die doppelte oder gar dreifache Zahl laden oder löschen will, ankern die meisten im Fluß. Die vielen breiten und flachen Boote, die hin- und herrudern, das sind Leichter, die Ladung von den Schiffen im Fluß ans Ufer bringen oder umgekehrt.«
    »Oft genug lassen sie die Ladung aber auch verschwinden«, mischte sich der Lübecker Wollhändler ein. »Viele Schiffe werden nachts überfallen und geplündert. Und mancher Passagier, der sich einem Boot anvertraute, erwachte ohne Börse und Kleidung in einer Abflußrinne am Ufer, wenn er überhaupt wieder aufwachte. In den Drecksläden von Southwark kann man jede Diebesbeute kaufen, die man nur will. Man kann sogar Diebstähle bestellen, wahrscheinlich auch Mord, wenn man nur genug Geld hat.«
    »Sie mögen recht haben, mein Herr«, antwortete der Bootsmann. »Die Postboote haben ja ihren festen Ankerplatz bei Billingsgate, aber der Kapitän läßt keinen Passagier mit einem Träger von Bord, der nicht von einem bekannten Hotel kommt. Nachts müssen wir doppelte Wache mit Belegnägeln gehen, und an der Landseite patrouilliert ein Wächter mit einer großen Dogge.«
    »Jagen Sie dem Jungen doch keine Angst ein«, erwiderte ein Holzhändler aus Surrey. »Er wird doch abgeholt.«
    »Sieh lieber an Steuerbord dort den Turm mit seinen Mauern, das ist der Tower! Und dort weit voraus die große Kuppel ist St. Paul's, eine der größten Kirchen der Welt. Und dort die Brücke, das ist die London-Bridge, fest aus Steinen gebaut. Von dort aus zieht sich der Pool immer weiter stromabwärts.«
    Nur noch langsam schob sich die Aurora durch das Gewimmel. Die Großsegel waren eingeholt, um die Fahrt zu vermindern. An Steuerbord glitt Katharinenkai vorbei, die dunkle Wolke vom Entladen der Kohlefrachter hatte die Umgebung eingefärbt. Das drohende Gemäuer des Tower war zum Greifen nahe.
    Kommandos hallten über das Deck. Matrosen liefen mit Leinen, Stangen und Fendern herum. Dann steuerte die Brigg den Kai in der Nähe des Zollhauses an. Einige Seeleute holten die oberen Segel ein, andere warfen Leinen zum Kai. Festmacher zogen die Brigg an ihren Platz und belegten die Leinen an Ringen und Pollern.
    Eine Gangway wurde zur Treppe an der Kaimauer geschoben, und ein mittelgroßer, rundlicher Mann mit navyblauem Jackett und Goldknöpfen betrat sie. »Der Beamte der Hafenmeisterei«, erklärte der Bootsmann den Umstehenden. »Er prüft die Papiere, kassiert die Gebühr und gibt das Schiff frei.«
    Der Kapitän begrüßte den Ankömmling und führte ihn unter Deck in seine Kajüte. Als sie nach einer Viertelstunde wieder an Deck auftauchten, war das Rundgesicht des Hafenbeamten noch etwas rosiger, und er schien guter Laune.
    »Mehr als zehn Schiffe kann der bei den Begrüßungsschnäpsen gar nicht am Tag abfertigen«, murmelte der Bootsmann vor sich hin.
    In diesem Moment rumpelte eine Kutsche auf den Kai. Ein breitschultriger Mann mit rötlichem Haar, etwa vierzig Jahre alt, sorgfältig nach der Mode, aber konservativ gekleidet, stieg behende aus und ging mit energischen Schritten auf die Gangway zu.
    »Ist es erlaubt, an Bord zu kommen, Sir?« fragte er den Bootsmann.
    »Selbstverständlich, mein Herr, ich führe Sie zum Kapitän.«
    »Sir«, wandte sich der Fremde an den Kapitän, »ich bin William Daniel Barwell, Ratsherr aus Portsmouth. Ich möchte meinen Neffen David Winter abholen.«
    Der Kapitän streckte seine Hand aus. »Guten Tag, mein Herr! Ich freue mich, daß alles so zeitgerecht geklappt hat. Ihr Neffe war ein angenehmer, munterer Reisegefährte.« Er wandte sich um: »David, komm her, dein Onkel ist da!«
    David, der die Szene beobachtet hatte, trat zögernd näher. Wieder begann für ihn eine neue Etappe, und die bekannten Reisegefährten blieben zurück. Würde er es wieder gut treffen?
    Eine energische und doch freundliche Stimme schnitt seine Gedanken ab: »Du bist also David, mein Neffe! Willkommen in England, mein Junge. Ich hoffe, du wirst dich bei uns wohl fühlen.«

Von London nach Portsmouth
    Steif aufgerichtet, den Kopf zur Seite gewandt, den Augen vor Starren kaum einen Lidschlag erlaubend, saß David in der Kutsche, die über das Kopfsteinpflaster westwärts rollte. Die Welt um ihn herum schien in einen Tumult auszubrechen.
    Kutscher brüllten sich an, um sich den Weg zu bahnen. Hafenarbeiter fluchten, wenn sie ihre Karren zur Seite rollen mußten. Fischweiber boten kreischend ihre Ware feil. Äpfelfrauen balancierten
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