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Jack Ryan 02 - Die Stunde der Patrioten

Jack Ryan 02 - Die Stunde der Patrioten

Titel: Jack Ryan 02 - Die Stunde der Patrioten
Autoren: Tom Clancy
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    Fast wäre Ryan innerhalb von dreißig Minuten zweimal getötet worden. Er stieg einige Straßen vor dem Ziel aus dem Taxi. Es war ein schöner, klarer Tag, die Sonne stand schon tief am blauen Himmel. Ryan hatte stundenlang auf harten Stühlen gesessen und wollte sich Bewegung verschaffen, um seine verkrampften Muskeln zu lockern. Auf den Straßen herrschte relativ wenig Verkehr, und auch die Bürgersteige waren kaum belebt. Das überraschte ihn, denn er sah erwartungsvoll der abendlichen Rush-hour entgegen. Diese Straßen waren nämlich seinerzeit nicht für Automobile angelegt worden, und das Chaos nach Büroschluß würde ein denkwürdiges Schauspiel bieten. Jacks erster Eindruck von London war, daß es eine gute Stadt zum Laufen sein würde, und er ging schnellen Schrittes, wie er es sich während seines kurzen Gastspiels bei der Marineinfanterie angewöhnt hatte.
    Kurz vor der Ecke waren keine Fahrzeuge mehr zu sehen, und er konnte die Kreuzung überqueren, ohne auf Grün zu warten. Er sah automatisch nach links, nach rechts, dann wieder nach links, wie er es seit seiner Kindheit gewohnt war, und trat vom Bordstein.
    Da wurde er beinahe von einem doppelstöckigen Bus erfaßt, der nur wenige Zentimeter von ihm entfernt vorbeibrauste.
    «Verzeihung, Sir.» Ryan wandte sich um und erblickte einen Polizisten in der bekannten altmodischen Uniform. «Seien Sie bitte vorsichtig und gehen Sie möglichst nahe an der Ecke über die Straße. Achten Sie auch auf die gemalten Hinweise am Bordstein - ob man nach rechts oder nach links sehen muß. Wir geben uns Mühe, daß nicht allzu viele Touristen überfahren werden.»
    «Woher wissen Sie, daß ich Tourist bin?» Jetzt würde er es natürlich wissen, wegen Ryans Akzent.
    Der Konstabler lächelte geduldig. «Weil Sie zuerst in die falsche Richtung gesehen haben, Sir, und weil Sie wie ein Amerikaner angezogen sind. Seien Sie bitte vorsichtig. Guten Tag.» Der Bobby ging mit einem freundlichen Nicken weiter, und Ryan fragte sich, warum sein dreiteiliger Anzug ihn als Amerikaner auswies.
    Er beherzigte die Warnung und ging bis zur Ecke. Auf dem Asphalt stand «Nach rechts sehen», und für Leute mit Leseschwierigkeiten war zusätzlich ein Pfeil aufgemalt. Er wartete auf Grün und hielt sich innerhalb der gemalten Markierungen. Er nahm sich vor, genau auf den Verkehr zu achten, vor allem ab Freitag, wenn er einen Leihwagen nehmen würde. Großbritannien war eines der letzten Länder der Erde, wo noch auf der linken Straßenseite gefahren wurde. Er war sicher, daß es ihn einige Mühe kosten würde, sich daran zu gewöhnen.
    Aber alles andere machen sie hier wirklich gut, dachte er angenehm berührt, während er, schon an seinem ersten Tag in London, allgemeine Schlußfolgerungen zog. Ryan war ein ausgezeichneter Beobachter, und ein aufmerksames Auge kann vieles aufnehmen. Er befand sich in einem Geschäfts- und Büroviertel. Die Passanten waren eleganter gekleidet als in einem vergleichbaren Viertel in Amerika - abgesehen von den Punkern mit ihren roten und orangefarbenen Haarkämmen, dachte er. Die Architektur war ein Potpourri von Klassizismus bis Mies van der Rohe, aber die meisten Häuser strahlten etwas Solides und Beruhigendes aus. In Washington oder Baltimore wären sie längst durch eine ununterbrochene Reihe seelenloser Gebilde aus Glas und Stahl ersetzt worden. All das fügte sich gut in die tadellosen Umgangsformen der Leute, mit denen er bisher zu tun gehabt hatte. Dies war ein Arbeitsurlaub, und sein erster Eindruck sagte ihm, daß er sehr angenehm verlaufen würde.
    Er stellte einige Merkwürdigkeiten fest. Viele Leute hatten einen Regenschirm bei sich. Ryan hatte eigens den Wetterbericht gehört, ehe er seine heutigen Recherchen begann. Man hatte korrekt einen schönen Tag angesagt, sogar einen heißen Tag, obgleich die Temperatur nur knapp zwanzig Grad betrug. Sicher, für diese Jahreszeit war das warm, aber «heiß»? Jack fragte sich, ob sie es hier auch Altweibersommer nannten. Wahrscheinlich nicht. Wozu also die Regenschirme? Hatten die Leute kein Vertrauen zum Wetteramt? Hatte der Konstabler deshalb gewußt, daß er Amerikaner war?
    Das andere, mit dem er nicht gerechnet hatte, waren die vielen Rolls-Royce auf den Straßen. Er hatte in seinem ganzen Leben nicht mehr als eine Handvoll gesehen, und hier fuhren sie zwar nicht dicht an dicht, aber es gab doch eine ganze Menge. Er benutzte gewöhnlich seinen fünf Jahre alten VW-Golf. Ryan blieb an einem
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