Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jukebox-Mann

Der Jukebox-Mann

Titel: Der Jukebox-Mann
Autoren: Åke Edwardson
Vom Netzwerk:
waren ernst. Das gleiche Kinn und die gleiche Nase. Lennarts Kinn und Nase.
    »Von wem hast du das?« Sie schaute auf.
    »Ich hab es an einer geheimen Stelle gefunden«, antwortete er, »die nur wir kannten.«
    Er sah den Haubentaucher, wenn es denn einer war, den Kopf und den langen Hals ins Wasser stecken, der Körper folgte und verschwand.
    »Ihr seht euch sehr ähnlich«, stellte sie fest.
    »So sah unsere Mutter aus«, sagte er.
    »Du hast noch nie von deinem Vater erzählt.«
    »Es ist, als ob es ihn nie gegeben hätte.«
    Aber Seved gibt es, dachte sie. Zumindest auf diesem Foto. Sie senkte plötzlich den Kopf, wie um sich vor der Sonne zu schützen. Der Himmel war wolkenlos. Die Sonne stach in die Augen. Er drehte sich wieder um und sah den Vogel auftauchen, zehn Meter näher. In seinem Schnabel zappelte etwas.
    Er hörte Elisabeth etwas sagen.
    »Was hast du gesagt, Elisabeth?«
    »Wir haben niemanden, der sich um uns kümmert«, sagte sie. »Du bist … allein, Johnny. Genau wie ich, allein wie ich. Wir haben niemanden.«
    Er beugte sich vor. Etwas brannte im Zwerchfell, ein stechender Schmerz.
    »Ich will nicht verlieren«, sagte sie. »Wir sind keine Verlierer. Du verlierst nicht.«
    Er beugte sich noch weiter vor, und der Schmerz beugte sich mit ihm vor. Über seinen Augen wuchs ein Schatten.
    »Wir können es schaffen«, sagte sie. »Ich will, dass wir es schaffen. Wir werden gebraucht.«
    Jetzt sah er nichts mehr, überall war Schatten. Wieder sagte jemand etwas. Es musste Elisabeth sein. Er schaute auf und hatte das Gefühl, nackt zu sein. Das Atmen fiel ihm schwer, aber nur sekundenlang.
    »Ich muss dir noch etwas erzählen«, wiederholte Elisabeth. »Ich konnte es vorher nicht sagen. Zu Hause bei dir.«
    »Ja?«
    »Ich konnte es nicht. Du hast nach … Lennart gefragt. Aber vielleicht habe ich gelogen.«
    »Gelogen?« Aus dem einen Augenwinkel sah er eine Bewegung. Der Haubentaucher war wieder in der Luft.
    »Inwiefern hast du gelogen?«
    »Oder ich hab mich selbst belogen … was ich jetzt sagen will, was ich vorher nicht geschafft habe, ist, dass ich … doch nicht hundert Prozent sicher bin.«
    »Hundert Prozent«, wiederholte Johnny. Er war plötzlich ruhig.
    »Darf ich das Foto noch mal sehen?«, sagte sie.
    Er reichte es ihr schweigend.
    »Ich bin immer überzeugt gewesen«, sagte sie und betrachtete das Gesicht des jüngeren Jungen. »Früher. Wegen Lennart … und Bertil. Ich hab ja damit gelebt. Ich habe nie etwas anderes geglaubt.« Sie hob das Gesicht, der Sonne entgegen. »Ich hab mich die ganze Zeit selbst belogen.« Sie blinzelte in seine Richtung. »Hab geträumt, oder wie man das nennen soll.«
    »Man ist unschuldig, wenn man träumt«, sagte er.
    »Das kommt mir bekannt vor«, antwortete sie.
    »Ingrid hat es an jenem Abend gesagt.« Er stand auf.
    »Jetzt will ich fahren.«
     
    Er schaltete das Radio mitten in den Nachrichten an: Es wurde damit gerechnet, dass 1966 eine geplante Raketenbasis in Kiruna fertig gestellt sein würde. Die dänische Charterfluggesellschaft Nordair sollte von SAS übernommen werden.
    »Ich möchte niemals fliegen«, sagte Elisabeth. »Jedenfalls nicht den ganzen Weg bis nach Amerika.« Sie schaute aus dem Fenster. Sie fuhren durch die Vororte, die Villenvororte. »Kannst du das Radio nicht abstellen?« Sie wandte sich vom Fenster ab. »Es kann doch ruhig eine Weile still sein.«
    Während der Fahrt dachte er an nichts, an das er sich später erinnern würde. Sie fuhren mit halb heruntergedrehten Fensterscheiben. Der Wind war warm. Als sie ankamen, war Lennart zu Hause. Er saß in der Küche und aß ein Butterbrot und hatte den Abendbrottisch gedeckt.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher