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Der Jukebox-Mann

Der Jukebox-Mann

Titel: Der Jukebox-Mann
Autoren: Åke Edwardson
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sagte Milt.
    »Wobei?«
    »Mit einer … Reise.«
     
    Jetzt war es still in Blomstrands Werkstatt. Kula schien nach Hause gegangen zu sein, während Johnny telefoniert hatte. Er hielt eine unangezündete Zigarette in der Hand. Inzwischen war es Montag geworden, der letzte Tag im August. Der Sommer zog seine Schlussbilanz. Johnny zog seine Schlussbilanz. Elisabeth zog ihre Schlussbilanz. Bertil. Bodil. Und Milt.
    Eine Reise, hatte Milt gesagt. Hilfe bei einer Reise.
    Er hielt die Zigarette immer noch in der Hand, ohne sie anzuzünden, als trainierte er etwas, vielleicht Durchhaltevermögen. Johnny hörte den Mitternachtszug die Stadt passieren, der Nachtzug von Süden hinauf zur Hauptstadt. Von hier aus klang er wie Lennarts Eisenbahn, ein dünnes Geräusch. Ein Schnellzug, aber ein dünnes Geräusch. Vielleicht lag es an der Nacht. Die Dunkelheit hatte sich verdichtet, vielleicht dämpfte auch die Luft selbst das Geräusch. Er steckte die Zigarette zurück und die Schachtel in seine linke Hemdenbrusttasche. Die Geräusche des Zuges erstarben im Norden. In sechs Stunden würde er die Hauptstadt erreichen. Dort war er schon seit einem Jahr nicht mehr gewesen. Er hätte hinfahren müssen, hatte sich aber nicht getraut. War es so? Hatte er keinen Mumm gehabt? Wovor fürchte ich mich am meisten? Er ging auf den Hof und schaute zu seinem eigenen Küchenfenster hinauf. Durch den dünnen Vorhang sah er all das Vertraute, aber jetzt war es ihm fremd, genau wie alles andere, was ihm vertraut war. Jetzt geschieht es, dachte er, ohne es zu verstehen. Was jetzt geschieht, verändert alles für immer. Es ist diese Nacht, dieser Tag. Er merkte, dass er die Treppe wieder hinaufstieg, ohne dass er sich erinnern konnte, sich in Bewegung gesetzt zu haben. Als hätte ein Fremder seinen Körper übernommen. Er stand am Telefon, sah die Hand den Hörer abheben und den Finger die Wählscheibe drehen. Ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs Klingelzeichen. Die Hand presste den Hörer ans Ohr. Am anderen Ende knackte es.
    »Hallo?«
    Eine Frauenstimme.
    Er brachte keinen Ton heraus. Aus dem Augenwinkel sah er, dass der Telefonhörer in seiner Hand zitterte.
    »Hallo?«, wiederholte die Stimme. »Wer ist da?«
    Die Stimme kannte er nicht. Sie klang ängstlich. Ängstlich wie er selber war. Sie erschreckten einander. Es war bald Geisterstunde.
    »We… wer ist da?«, fragte er.
    »Wer ist da?«, fragte sie zurück.
    »Entschuldigung … dass ich so spät anrufe«, sagte er.
    »Wer sind Sie?«
    Ihre Stimme klang nicht mehr ganz so ängstlich. Sie musste die Angst in seiner Stimme wahrgenommen haben.
    »Johnny«, antwortete er.
    »Wer?«
    »Johnny. John Bergman.«
    »Ich kenne keinen Joh…« Sie brach ab.
    Er wartete. Er hörte einen Laut am anderen Ende der Leitung, als hätte die Frau sich umgedreht. Er meinte eine Stimme im Hintergrund zu hören. Wie in einem Reflex drehte er sich selbst um. Auch nach Mitternacht war es vorm Fenster nicht dunkler geworden. Er hatte ein Gefühl, als könnte er mit dem Telefonhörer in der Hand dastehen und bis zur Dämmerung warten.
    »Bergman?«, fragte sie.
    »Ja.«
    »Der wohnt nicht hier«, sagte sie.
    »Wie bitte?«
    »Hier gibt es keinen Bergman mehr.«
    »Seved?«, sagte er.
    »Ich weiß nicht, wie er mit Vornamen hieß.«
    »Wo ist er?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Ich habe schon so oft versucht, ihn anzurufen«, sagte Johnny.
    Jetzt war er ruhiger. Jetzt geschah es, und er wurde ruhiger.
    »Ich bin sehr lange nicht hier gewesen«, sagte sie.
    »Wer sind Sie?«
    »Ich wohne hier nur zur Untermiete.«
    »Seved Bergman ist mein Bruder«, sagte Johnny. »Ich habe schon sehr lange nichts mehr von ihm gehört und weiß nicht, wo er ist.«
    »Woher haben Sie diese Nummer?«
    »Sie stand in einem Brief von ihm, vor langer Zeit.«
    »Ich wohne hier schon seit Jahren«, sagte sie. »Aber ich bin häufig unterwegs.«
    »Woher kennen Sie den Namen?«, fragte Johnny. »Bergman?«
    »Den hab ich auf irgendeinem Vertrag gelesen, glaube ich«, antwortete sie. »Aber ich bin ihm nicht begegnet.«
    »Wissen Sie etwas von ihm?«
    »Nein.«
    »Gibt es dort niemanden, der weiß, was aus meinem Bruder geworden ist?«
    »Ich weiß jedenfalls nichts«, sagte sie. Wieder eine Pause. Er hörte Fragmente anderer Stimmen in der Leitung, Bruchstücke von Worten. Sie klangen wie eine fremde Sprache.
    »Das Einzige, was ich weiß, ist, dass er … Ihr Bruder … nicht hier gewohnt hat. Damals. Und auch jetzt nicht. Nicht in der Stadt
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