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Der Jukebox-Mann

Der Jukebox-Mann

Titel: Der Jukebox-Mann
Autoren: Åke Edwardson
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kannte.
    »Wissen Sie nicht noch etwas?«, fragte er. »Von meinem Bruder?«
    »Ich bin ihm einmal begegnet«, sagte sie.
    »Was? Am Telefon haben Sie ges…«
    »Ich weiß, was ich gesagt habe«, unterbrach sie ihn.
    »Aber Ihr Anruf kam so überraschend. Ich war gerade eben erst nach Hause gekommen, und als ich … ich wusste ja nicht, wer Sie sind.«
    »Wann haben Sie ihn getroffen?«, fragte Johnny.
    »Das ist schon viele Jahre her. Sieben vielleicht oder sechs.«
    »Genau wie … ich«, sagte er.
    »Er ist abgereist«, sagte sie.
    »Wohin?«
    »Ich glaube, nach Amerika.«
    »Hat er das gesagt?«
    »Ich kann mich nicht genau erinnern, aber ich glaube, ja.« Sie sah ihm in die Augen. »Warum sind Sie nicht schon eher gekommen?«
    »Ich konnte nicht«, sagte er. »Ich hab wohl darauf gewartet, dass mein Bruder … Seved … sich melden und mir mitteilen würde, wo er ist. Dass ich herkommen könnte. Oder dass er …«
    »Dann ist er also verschwunden«, unterbrach sie ihn.
    »Wirklich verschwunden?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Sie haben lange nach Ihrem Bruder gesucht«, sagte sie.
    »Ja.«
    »Wie lange?«
    »Mein … ganzes Leben.«
    Er drehte sich um.
    »Wohin wollen Sie?«, fragte sie.
    »Ich will nach Hause.«
     
    Der Abendverkehr auf der Landstraße war ruhig. Er begegnete Lastern, aber nur wenigen PKWs. Die Dunkelheit fiel schnell, wie ein Vorhang. Sein ganzer Körper war steif, als ob seine Muskeln jede Bewegung nur mit Protest ausführten.
    Die Lichter am anderen Ufer des großen Sees glitzerten wie Sterne. Er fuhr durch Wälder und dann war er wieder auf dem Hochland.
    Er war kaum in der Lage auszusteigen und hatte ein Gefühl, als wäre er ein Jahr fort gewesen. Während der Heimfahrt hatte er nichts gedacht, an nichts anderes gedacht als an das, was er um sich herum sah.
    Auf der Treppe versuchte er sich eine Zigarette anzuzünden, aber seine Hände zitterten nach der langen Fahrt, auf der er keine Pause gemacht hatte. Über dem Eingang von Blomstrands Haus leuchtete eine Lampe, ein matter Schein. Johnny spürte den Juckreiz im Körper.
    Er überquerte die Straße. Als er an der Werkstatttür vorbeiging, roch er Eisen und Feuer. Er ging, ohne selbst zu gehen, jemand anders hatte seinen Körper wieder übernommen.
    Er klopfte an die Tür des Wohnhauses, dort drinnen klang es wie ein Echo. Es gab keine Klingel. Er klopfte wieder, diesmal fester. Im Vorraum ging ein Licht an. Er sah den uringelben Schein durch die matte Scheibe der Tür. Das Schloss rasselte. Die Tür wurde geöffnet.
    »Mensch, Bergman.«
    »Entschuldige, dass ich so spät klopfe.«
    »Dich hab ich ja schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen,« sagte Blomstrand.
    Er trug ein Unterhemd, der Gürtel an seiner Hose hing offen herunter. Das Licht im Vorraum fiel auf Blomstrands behaarte Schultern. Er atmete die Nachtluft tief ein, aber vielleicht gähnte er auch nur.
    »Ich dachte, du wärst ein ordentlicher Mensch geworden, Bergman.«
    »Ich bin kein ordentlicher Mensch.«
    »Ich hab’s geglaubt. Da kann man mal sehen.«
    »Hast du was da, Kurt? Es ist das letzte Mal.«
    »Ach?«
    »Ich geh hier weg.«
    »Hoffentlich nicht heute Nacht.«
    »Hast du was?«
    »Wohin willst du denn, Bergman? Willst du umziehen?«
    »Ja …«
    »Willst du für immer wegziehen?« Blomstrand rieb sich die Augen. Er war nicht ärgerlich, fühlte sich nicht gestört.
    »Du bist doch dauernd unterwegs.«
    »Hast du was?«, wiederholte Johnny.
    »Du kommst einen Tag zu früh«, sagte Blomstrand. »Oder eine Nacht, muss ich wohl sagen. Fagerberg bringt mir morgen eine Lieferung.« Er sah an Johnny vorbei zu dem Haus auf der anderen Straßenseite, zum Werkstattschuppen, in dem Johnny das Licht hatte brennen lassen. »Ich hab nur noch einen Viertelliter reinen Alkohol, glaub ich.«
    »Das nehm ich.«
    »Seltsam, und ich hab gedacht, du würdest ein ordentlicher Mensch bleiben, Bergman.«
    »Ich nehm das Viertel«, wiederholte Johnny.
     
    Die Flasche wog nichts in seiner Hand, als würde sie Luft enthalten. Er ging über die Straße, auf das Licht in seiner Küche zu. Es war fast weiß, mehr weiß als gelb. Als er die Flasche auf die Anrichte stellte, sah er Seveds Gesicht, nur für den Bruchteil einer Sekunde. Ein anderes Land, hatte die Frau gesagt. Lebte er noch? Lebte er in einem anderen Land? Er besaß eine Ansichtskarte aus einem anderen Land. Die Karte begann zu verblassen, zu verblassen wie das Licht in dieser verdammten Küche. Die Wolkenkratzer auf dem Foto
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