Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Joker

Titel: Der Joker
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
Vom Netzwerk:
A
    Der Überfall
    Der Bankräuber ist ein totaler Versager.
    Ich weiß es.
    Er weiß es.
    Die ganze Bank weiß es.
    Selbst mein bester Freund Marvin weiß es und der ist ein noch größerer Versager als der Bankräuber.
    Das Schlimmste an der ganzen Sache ist, dass Marvs Auto draußen auf einem Parkplatz steht, wo man nur eine Viertelstunde parken darf. Wir liegen mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden und von der Viertelstunde sind nur noch ein paar mickrige Minuten übrig.
    »Der Kerl sollte sich besser etwas beeilen«, sage ich.
    »Wem sagst du das«, flüstert Marv zurück. »Das ist eine bodenlose Frechheit.« Seine Stimme steigt vom Boden in die Höhe. »Ich kriege einen Strafzettel, nur wegen diesem Blödmann! Ich kann mir nicht noch einen Strafzettel leisten, Ed.«
    »So viel ist der Wagen ja nicht mal wert.«
    »Was?«
    Marv schaut mich von der Seite her an. Ich merke, dass er sauer ist. Beleidigt. Wenn es etwas gibt, was Marv unter keinen Umständen toleriert, dann ist es eine abfällige Bemerkung über sein Auto. Er wiederholt seine Frage.
    » Was hast du gesagt, Ed?«
    »Ich sagte«, flüstere ich, »dass der Wagen nicht mal so viel wert ist wie ein Strafzettel.«

    »Hör mal«, sagt Marvin, »ich kann ja eine Menge schlucken, aber...«
    Ich schalte meine Ohren auf Durchzug, denn ehrlich gesagt kommt aus Marvins Mund nur noch gequirlte Kacke, wenn er erst mal anfängt, über sein Auto zu reden. Er quatscht und quatscht, wie ein kleines Kind, und dabei ist er gerade zwanzig geworden, Himmel noch mal.
    Er labert etwa eine Minute lang, bis ich mich nicht mehr beherrschen kann und ihn unterbreche.
    »Marv«, sage ich, »der Wagen ist einfach nur peinlich, klar? Er hat ja noch nicht mal eine Handbremse. Er steht da draußen mit zwei Backsteinen vor den Hinterrädern.« Ich versuche, so leise wie möglich zu sprechen. »Du machst dir doch meistens noch nicht mal die Mühe, ihn abzuschlie ßen. Wahrscheinlich hoffst du sogar, dass ihn dir jemand klaut, damit du die Versicherung abkassieren kannst.«
    »Er ist nicht versichert.«
    »Aha.«
    »Die Versicherung sagt, das ist er nicht wert.«
    »Verständlich.«
    In diesem Moment dreht sich der Bankräuber um und schreit: »Wer quatscht dahinten?«
    Marv ist das ganz egal. Er kommt jetzt erst richtig in Fahrt.
    »Du hast aber ganz offensichtlich nichts dagegen, dass ich dich in diesem Wagen zur Arbeit kutschiere, Ed, du mieser Emporkömmling.«
    »Emporkömmling? Was zum Teufel ist das?«
    »Ich hab gesagt, Ruhe dahinten!«, schreit der Bankräuber.
    »DANN BEEIL DICH GEFÄLLIGST!«, brüllt Marv zurück. Seine gute Laune ist verflogen. Und zwar gänzlich.

    Er liegt mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden der Bank.
    Die Bank wird gerade ausgeraubt.
    Der Frühling ist in diesem Jahr abartig heiß.
    Die Klimaanlage ist kaputt.
    Sein Wagen wurde soeben beleidigt.
    Dem guten Marv ist der Geduldsfaden gerissen und seine Argumentationskette ebenfalls. Und in Mörderstimmung ist er sowieso.
    Wir liegen immer noch flach auf dem ausgetretenen, staubigen blauen Teppich in der Schalterhalle. Marv und ich mustern uns mit kampflustigen Blicken. Unser Kumpel Ritchie liegt drüben in der Kinderspielecke, halb unter dem Tisch und unter Legosteinen begraben. Dort hat er sich hineingeworfen, als der Bankräuber hereingestürzt kam und brüllte und mit der Waffe herumfuchtelte. Audrey ist direkt hinter mir. Ihr Fuß liegt über meinem Bein und das wird langsam ganz taub.
    Der Bankräuber hat sein Gewehr auf die Nase eines beklagenswerten Mädchens hinter dem Schalter gerichtet. Auf ihrem Namensschild steht »Misha«. Arme Misha. Sie zittert fast genauso stark wie der Bankräuber, während sie darauf wartet, dass ein pickeliger Typ Ende zwanzig mit Schlips und Schweißflecken unter den Achseln die Banknoten in eine Tasche schiebt.
    »Dieser Kerl sollte sich ein bisschen beeilen«, meint Marv.
    »Das hab ich doch eben gerade gesagt«, erkläre ich.
    »Ja und? Kann ich nicht mal mehr meine Meinung sagen?«
    »Nimm deinen Fuß von meinem Bein«, sage ich zu Audrey.
    »Was?«, fragt sie.

    »Ich hab gesagt, nimm deinen Fuß da weg. Mein Bein ist eingeschlafen.«
    Sie zieht ihren Fuß weg. Zögernd.
    »Danke.«
    Der Bankräuber dreht sich um und brüllt erneut seine Frage - zum letzten Mal, wie es scheint: »Welches Arschloch dahinten kann sein Maul nicht halten?«
    Eine Sache ist in Bezug auf Marv wirklich erwähnenswert. Man kann ihn bestenfalls als schwierig bezeichnen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher