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Der Joker

Titel: Der Joker
Autoren: Markus Zusak Alexandra Ernst
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einfach nur an, als würde ich eine fremde Sprache sprechen. Und als ich es meiner Mutter gegenüber erwähnte, meinte sie nur: »Och, warum stellst du dich nicht einfach in die Ecke und weinst dich mal so richtig aus, Ed?« Meine Mutter ist der Kracher. Glaub mir.
     
     
    Ich wohne in einer Hütte, die ich billig gemietet habe. Kurz nachdem ich eingezogen bin, habe ich von dem Makler erfahren, dass der Eigentümer gleichzeitig mein Boss ist: der stolze Gründer und Besitzer des Taxiunternehmens, für das ich fahre: »FREIE TAXIS«. Es ist, vorsichtig ausgedrückt, eine dubiose Firma. Audrey und ich hatten keine Schwierigkeiten, die Jungs dort zu überzeugen, dass wir alt genug sind und die nötigen Papiere haben, um Personen zu befördern. Vertausche ein paar Zahlen auf deiner Geburtsurkunde und wedele mit einem Papierlappen herum, der aussieht wie ein Führerschein, und schon bist du dabei. Innerhalb einer Woche waren wir im Geschäft, denn es herrschte gerade Fahrerflaute. Keine Kontrolle unserer Papiere. Kein Stress. Es ist überraschend, was man mit Betrug und Tricks alles erreichen kann. Wie Raskolnikow in Dostojewskis »Schuld und Sühne« einmal sagte: »Wo der Verstand nicht hilft, hilft der Teufel.« Wenn ich sonst schon nichts vorweisen kann, so kann ich doch mit Fug und Recht behaupten, der jüngste Taxifahrer in der Gegend zu sein - ein Wunderkind des Taxameters sozusagen. Das ist die Art von Anti-Errungenschaft, die meinem Leben Struktur verleiht. Audrey ist ein paar Monate älter als ich.

    Die Hütte, in der ich wohne, ist nicht weit weg vom Zentrum und gleichzeitig einen ordentlichen Fußweg von meiner Arbeit entfernt. (Das Taxi darf ich nicht mit nach Hause nehmen.) Manchmal fährt Marv mich hin. Der Grund, warum ich kein eigenes Auto habe, ist die Tatsache, dass ich bei Tag und bei Nacht Leute durch die Gegend kutschiere. In meiner freien Zeit habe ich keine Lust, noch mehr herumzufahren.
    Das Kaff, in dem wir alle leben, ist nichts Besonderes. Es liegt am Rand der Großstadt und hat gute Ecken und schlechte Ecken. Es wird wohl niemanden überraschen, wenn ich dir sage, dass ich aus einer schlechten Ecke stamme. Meine gesamte Familie ist im äußersten Norden unserer Kleinstadt aufgewachsen, eine Abstammung, die jeder, den es trifft, auf ewig als Schandfleck mit sich herumträgt. Schwangerschaften bei Minderjährigen sind dort an der Tagesordnung, und die Gegend wartet mit einer ungesunden Ansammlung von gewalttätigen, arbeitslosen Vätern auf sowie von Müttern, die saufen, rauchen und mit hochhackigen Stiefeln durch die Straßen stolzieren, so wie meine eigene Mutter. Mein Zuhause war ein echt mieses Loch, aber ich blieb da, bis mein Bruder Tommy die Schule beendet hatte und an die Uni ging. Manchmal denke ich, dass ich das auch hätte tun sollen, aber ich war in der Schule zu faul. Immer dann, wenn ich meine Mathehausaufgaben hätte machen müssen und den ganzen anderen Mist, hab ich lieber gelesen. Vielleicht hätte ich eine Ausbildung machen können, aber hier in der Gegend gibt es keine Lehrstellen, besonders nicht für Typen wie mich. Aufgrund der bereits erwähnten Faulheit war ich nicht besonders gut in der Schule, außer in Englisch, wegen meiner Liebe zu Büchern.
Und weil mein Vater unser ganzes Geld versoff, bin ich arbeiten gegangen, gleich nachdem ich die Schule abgeschlossen hatte. Angefangen habe ich in einer Fastfood-Kette, die nicht weiter bemerkenswert ist und deren Namen ich aus Scham lieber verschweigen möchte. Danach habe ich in dem staubigen Büro eines Steuerberaters Akten sortiert. Der Laden hat kurz nachdem ich dort angefangen habe dichtgemacht. Und schließlich der Höhepunkt, der Gipfel meiner Karriere.
    Taxifahrer.
     
     
    Ich habe einen Mitbewohner. Er heißt Türsteher und ist siebzehn Jahre alt. Er sitzt vor der Fliegengittertür und die Sonne scheint auf sein schwarzes Fell. Seine alten Augen schimmern. Er lächelt. Er heißt Türsteher, weil er seit frühester Jugend eine Vorliebe dafür hat, neben der Eingangstür zu sitzen. So war es früher zu Hause, und so ist es auch heute noch, hier in der Hütte. Er sitzt gerne dort, wo es hübsch warm ist, und er lässt niemanden herein. Der Grund dafür, dass er sich so ungern bewegt, ist sein stattliches Alter. Er ist ein Rottweiler-Schäferhund-Mischling, und er verströmt einen Gestank, den er einfach nicht loswird, egal was ich versuche. Deshalb besucht mich wohl auch niemand, bis auf meine Kartenspielerfreunde.
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